Wie schöne Städte entstanden sind Schöne Landschaften und ihre Geschichte
Wie schöne Städte entstanden sindSchöne Landschaften und ihre Geschichte

 

Die landcommanderij Alden Biesen in der belgischen Provinz Limburg

 

Was verbirgt sich hinter dem Wort landcommanderij? Sollte es sich um eine Anlage aus absolutistischer Zeit handeln, als noch ein Kommandant die Geschicke der Gegend bestimmte? Der erste Blick auf Alden Biesen scheint diese Annahme zu bestätigen. In einer Talsenke des flachen Landes gelegen, erhebt sich ein in seiner Anlage rechtwinkliges, zweistockiges Wasserschloss mit steilen Dächern, an jeder der vier Ecken ein breiter Rundturm mit spitzem Dach. Über die Dächer ragt ein weiterer Turm hinaus. Die breiten Wassergräben und die symmetrische Fassade mit großen, von Hausteinen gefassten Fenster lassen vermuten, dass das Gebäude früher Verteidigungs- und später Repräsentationszwecke zu erfüllen hatte. Andererseits befinden sich neben dem Hauptgebäude eine für einen feudalen Landsitz viel zu große Kirche und zahlreiche weitere Gebäude, die auf Nutzungen hinweisen, die über das Gebäude einer lokalen Obrigkeit hinausgehen. Tatsächlich ergeben sich aus den weiteren Nachforschungen ziemlich überraschende Erkenntnisse über die Geschichte eines Ortes und eines Bauwerks, die bis in das frühe Mittelalter und in weit entfernte Länder und in höchst verwickelte geschichtliche Abläufe führen.

 

Das Schloss in Biesen war nämlich eine bedeutende Niederlassung des Deutschen Ritter-ordens. Landcommanderij ist mit Kommende oder Komturei zu übersetzen. Die Komturei wurde vom Komtur geleitet, eine Gestalt, die man eigentlich nur als steinernen Gast und tugendhaften und mit überirdischen Waffen ausgestatteten Gegenspieler des Libertinisten und Frevlers Don Giovanni aus Mozarts Oper kennt. In seiner historischen Form füllte er in der strikten Hierarchie des Ordens nach dem Hochmeister und dem Landmeister die Aufgaben der dritten Verwaltungsebene des Ordens aus.

 

Über welche Form von politisch-religiöser Stellung verfügte eigentlich der Orden? Um diese Frage zu beantworten, muss man das Entstehen und die Geschichte des Ordens in ihren Umrissen kennen.

 

Der Deutsche Orden wurde 1190 als weltlicher Hospitalorden während des dritten Kreuzuges vor Jerusalem gegründet. Die Fratres Domus Hospitalis Sanctae Mariae Teutonicorum in Jerusalem unterhielten in Akkra (nördlich von Haifa) ein eigenes Haus, heute noch ist dort die mächtige Burg, in die dann die spätere Stadt hineingebaut wurde, zu sehen. Wenige Jahr-zehnte später wurde der Orden, der - wie es heißt - von Bürgern aus Bremen und Lübeck gegründet worden war, in einen Ritterorden umgewandelt, der nun nicht mehr nur karitative sondern auch militärische Ziele verfolgte. In dieser Form breitete sich der Orden begünstigt durch den Kaiser und den Papst und durch Schenkungen hochadliger Familien schnell aus. Anfang des 13. Jahrhunderts bestanden Niederlassungen nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch auf den Gebieten des heutigen Frankreichs, Spaniens und Griechenlands.

 

1230 begann der Orden die Christianisierung und Eroberung Preußens, dies war insofern eine wichtige Wende in der Geschichte des Ordens, weil er damit eine eigene territoriale Herrschaft erhielt, was sich als umso wichtiger erwies, da mit der Eroberung Jerusalems durch die Türken 1291 jede Wirkungsmöglichkeit im Heiligen Land verloren ging. Am Unterlauf der Weichsel entstand eine weitere mächtige Burg des Ordens, die Marienburg (1309) bis heute durch ihre Größe ein Zeichen der damaligen auch politischen mächtigen Rolle des Ordens.

 

Zu dieser Zeit verfügte der Orden über zwei Formen von Herrschaft: In Preußen bildete er einen frühabsolutistischen Staat ohne weltlichen Oberherrn. Auf dem Gebiet des Reiches war sein Einfluss dagegen quasi-staatlich, er gründete aus verbrieften Rechten unterschiedlichster Art, die als Lehen oder aus Schenkungen ihm übertragen worden waren. Es entstand über das ganze Reich verteilt ein Netzwerk von Niederlassungen, das über zwei räumliche Zusammen-fassungen, den Balleien als obere und den Komtureien als untere Ebene verwaltet wurde. An der Spitze des Ordens stand der Hochmeister, die Balleien wurden durch den Landmeister und die Komtureien durch den Komtur geführt. Im deutschen Reich bestanden 12 Balleien, und darunter auch die Ballei Biesen am nordwestlichen Rand des Reiches. Im Mittelalter war die damalige Burg in Biesen somit das Zentrum einer Ballei (für die Region vom Rhein bis nach Brabant).

 

Im späten Mittelalter und in der Reformationszeit brachen allerdings schwierige Zeiten für den Orden an. Die Macht der Städte und der entstehenden Territorialstaaten schränkte die Macht des Ordens in seinen Gebieten ein. 1525 unterwarf sich der Hochmeister in Preußen dem polnischen König. Außerdem nahm er den protestantischen Glauben an, diesem Beispiel folgten andere Landmeister. Die preußischen und baltischen Gebiete gingen verloren und wurden schließlich Besitztum der Hohenzollern, die sich seit 1701 Kurfürsten von Brandenburg und Könige in Preußen nennen konnten. Die Ballei von Utrecht nahm mit der Abspaltung der Niederlande vom Reich ein eigenes Leben auf. Im deutschen Reich konnte der Orden aber zunächst seine starke Stellung behalten.

 

Wie haben sich die zunächst günstigen, dann ungünstigen Entwicklungen auf Ballei und Komturei Biesen und auf die Burg ausgewirkt? Zunächst muss man beachten, dass die Ballei Biesen im fruchtbaren Flandern liegt, gerade in diesem Gebiet mit großzügigen Schenkungen der Adligen bedacht wurde und somit reich war. Trotz der Rückschläge des Ordens im Osten des Reiches, nahm die Zahl ihrer Niederlassungen weiter zu, so gehörte auch zum Beispiel die Kommende Bonn-Ramersdorf zur Ballei Biesen, in Maastricht und Lüttich entstanden die Kommenden Neubiesen und in Köln und Löwen an den dortigen Universitäten Ausbildungs-stätten des Ordens, Jungbiesen genannt. Seit dieser Zeit wurde – da die Verwaltung der Ballei Biesen auf mehrere Standorte (vor allem Maastricht und Lüttich) aufgeteilt worden war, die alte Burg Altbiesen (Alden Biesen) genannt. Seit dieser Zeit kann man sagen, dass Alden Biesen eine landcommanderij, nicht mehr der Mittelpunkt der Ballei, war.

 

Weiter muss bedacht werden, dass sich der Ritterorden, der ursprünglich von Laien ohne Ansehen ihres Standes gegründet wurde, immer stärker in eine Gemeinschaft, die nur Adligen offen stand, verwandelt hatte. Schon seit dem 14. Jahrhundert musste jeder „Postulent“ zunächst 4, dann 8 und schließlich 16 adlige Vorfahren (in beiden Elternlinien) nachweisen. Damit war es selbst einem einfachen Adligen unmöglich, Ordensbruder zu werden. Unter diesem geschichtlichen Gang wurde aus den Ritterbrüdern, die strenge Ordensregeln (Gehorsam, Keuschheit, Armut und militärische Zucht) zu beachten hatten, höchst weltliche Herrschaften. Die Brüder schützten mehr und mehr vor allem ihre eigenen Privilegien, später entwickelten sie sich zu wichtigen und geschickten Financiers. Die Periode der Verweltlichung war Mitte des 16. Jahrhunderts abgeschlossen.

 

Mit ihr erfolgte die bauliche Erneuerung der alten Burg zu einem Schloss im französischen Renaissancestil, eine repräsentative Anlage, die dem Selbstbewusstsein und den Erwartungen ihrer hochadligen Bewohner entsprechen konnte. Die damals errichteten Bauten bilden den Kern der heutigen Anlage. Im 18. Jahrhundert wurde die Anlage barockisiert. Die schmalen Fenster wurden vergrößert und mit Hausteinen gefasst. Noch heute sieht man bei näherer Betrachtung der symmetrisch gegliederten Backsteinfassade die viel schmaleren gemauerten Fensterstürze. Es wurden großzügige Empfangsräume, die durch eine Halle und Prunktreppe erschlossen wurden, eingebaut und eine neue Kirche im Stil der Gegenreformation errichtet. Die Gebäude der Vorburg wurden zum Beispiel durch eine Reithalle erweitert und so gruppiert, dass ein Ehrenhof entstand. Schließlich kam ein englischer Garten mit klassizis-tischen Apollotempel hinzu. Das alte Hospital ließ man dagegen verfallen, schließlich baute man - um den guten Schein zu wahren - ein Apostelhaus in einer abgelegenen Ecke des Anwesens.

 

1795 kam mit den französischen Revolutionstruppen das Ende der landcommanderij. Die Rechte und Besitztümer der Ballei Biesen wurden säkularisiert, gleiches sollte 1809 durch den Reichsdeputationsausschluß mit den noch verbliebenen Niederlassungen im ehemaligen Reichsgebiet geschehen, nur in Österreich bestand der Orden unter dem habsburgischen Patronat weiter. Das beträchtliche Geldvermögen des Ordens war rechtzeitig nach Wien verbracht worden.

 

Der sehr ansehnliche Besitz, Schloss und Landgut Alden Biesen, wurde an den Bürgermeister der Stadt Hasselt Willem Claes verkauft. Damit beginnt die vierte Epoche von Alden Biesen, die bis 1971 dauern sollte. Der bürgerliche Besitzer scheint sich mit der Übernahme jedoch übernommen zu haben. Um seinen Besitz zu retten, kam er auf eine geniale, aber wenig ruhmvolle Idee. Er legte - was damals manche Glücksritter taten - eine Lotterie auf, deren erster Preis das Schloss und Gut war. Der Zufall oder eine hilfreiche Hand bewirkten, dass der Gewinner des ersten Preises er selbst war, auf dieser Grundlage lässt sich gut wirtschaften!

 

Dennoch verfiel das Schloss mehr und mehr. Die Zukunft des Schlosses begann mit einer Katastrophe. Im Jahr 1971 hatte sich der letzte Nachfahr von Wilhelm Claes entschlossen, das heruntergekommene Schloss dem Staat zu übergeben. Am 8 März 1971 sollte die staatliche Verhandlungsdelegation eintreffen. Ihr zu Ehren oder um sie günstig zu stimmen, kam der Schlossherr auf die Idee, eine gemütliche Atmosphäre zu erzeugen und entfachte dafür in einem der längst nicht mehr genutzten Säle des Komturs ein Kaminfeuer. Er löste damit einen Schornsteinbrand aus, der schnell auf die Dächer und dann auf die gesamte Anlage übergriff. Am Tage als die Delegation eintraf, bestand Alden Biesen nur noch aus den verrußten Außenmauern.

 

Die Kaufverhandlungen hatten somit eine überraschende Wende genommen, es ging jetzt um eine Entscheidung für oder gegen den Wiederaufbau. In einer für Belgien staatlich wie wirt-schaftlich sehr schwierigen Zeit hat sich der belgische Staat wie die Provinz Limburg dennoch für den Wiederaufbau des Schlosses in seiner Gesamtheit und unter strengen denkmal-schützerischen Auflagen entschlossen, der bis zum Ende der 80er Jahre dauern sollte.

 

Was man heute in Alden Biesen vorfindet, ist die sorgfältig Rekonstruktion der Verhältnisse vor der Säkularisierung, natürlich mit neuen Zweckbestimmungen. Das Schloss Alden Biesen ist heute ein europäisches Bildungs- und Konferenzzentrum, ein Ort, in dem sich die Wen-dungen und Irrungen europäischer Geschichte ebenso niederschlagen wie kulturhistorische Werte, die es zu schätzen und zu bewahren gilt.

 

Lit.: Van der Eycken, Dr. Michael und andere: Die Landkommende Altenbiesen (keine Zeit- und Ortsangabe)

 

Erschienen in der Zeitschrift „Der Landkreis“ 1 / 2002

 

 


 

 

 

 

 

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