Celle, die weitere Station der Reise zu deutschen Städten, die in ihrer historischen Gestalt und Schönheit erhalten sind, steht für die Form der Residenzstadt. Von ihnen gibt es im ehemals staatlich zersplitterten Deutschland zahlreiche. In ihrer Geschichte spiegeln sich verschiedene Gegebenheiten. Zunächst das Familienleben und die Interessen der Fürstenfamilien, deren Schutz- und Repräsentationsbedürfnisse, der mehr oder weniger stark ausgeprägte Konflikt zwischen dem Fürstenhaus und der Bürgerschaft und schließlich die allgemeinen Zeitläufe.
Im Fall von Mühlhausen wurde gezeigt, wie eine Stadt im 10. Jahrhundert zunächst als ottonischer Königshof gegründet wurde, und sich dann die Bürgerschaft mehr und mehr durchsetzte, bis die Stadt als freie Reichsstadt eine ganz bedeutende Rolle für die Region und selbst für die Reichsgeschichte übernahm. Auch Quedlinburg entstand aus einem Königsgut und wurde später als Reichsstift hochadliger Frauen ein Kleinststaat, der immerhin bis zur ersten staatlichen Neuordnung 1803 überlebte. Auch dort versuchte die Bürgerschaft, sich durch Beitritt zum Bündnis der Hanse zu emanzipieren, aber dieser Versuch schlug fehl. Celle hat diese Dramatik zwischen Fürstenherrschaft und Bürgeremanzipation nicht erlebt. Oder richtiger gesagt: Nur mittelbar, denn die Stadt wurde als Folge des Ausweichens der braunschweigisch - lüneburgischen Herzöge aus ihrer ursprünglichen Hauptstadt Lüneburg, deren Bürger gegen die Landesherrschaft aufbegehrten, zur Residenz erhoben. Dies geschah 1371.
In der "Historisch-topografisch-statistischen Beschreibung der Stadt Celle im Königreiche Hannover" von Ernst Spangenberg (Celle 1826) wird dies mit den folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: „Die Geschichte der Stadt seit ihrer Erbauung bis auf die gegenwärtige Zeit (1825) bietet nicht die Merkwürdigkeiten dar, welche oft in zahlreichen anderen Stadtgeschichten vorkommt. Die Stadt war von jeher zu schwach und zu abhängig von den in sie residierenden Fürsten, stand solcher Gestalt unter ihrer beständigen Aufsicht, dass sich hier keine wirkliche städtische Macht ausbilden konnte und dass noch weniger von einem Rivalisieren mit dem Landesherrn von Fehden und Meytereien gegen denselben von Usurpationen bedeutender Hoheitsrechte die Rede sein konnte. Auch ist sie nie durch besonders schweres Unglück betroffen worden. Keine bedeutende Belagerungen hat sie ausgehalten, kein zerstörendes Ungemach des Krieges hat sie berührt. Und so hat auch hiervon ihre Geschichte nichts zu erzählen. Zwei Epochen kann man züglichsten bei Darstellung der Geschichte der Stadt annehmen, die erste, bis dahin, wo sie aufhörte, Residenz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg cellischer Linie zu sein und die zweite von da an bis auf die gegenwärtige Zeit“.
Gibt es somit aus der Geschichte der Stadt nur Unwesentliches zu berichten? Keineswegs, wie nun zu belegen ist. Auch aus ihr ergeben sich Erkenntnisse zu den Besonderheiten der historischen Entwicklung der deutschen Städte. Wie auch eine Personalgeschichte von einer atemberaubenden Tragik - wie ja auch in Coimbra nachzulesen ist.
Die Gründung der Stadt und ihr Aufschwung zur Residenz
Celle wurde am Ende des 13. Jahrhunderts gegründet, also deutlich später als Quedlinburg und Mühlhausen. Östlich davon, im heutigen Dorf Altencelle, befanden sich damals schon eine Burg und eine bedeutende Kirche, nicht weit davon das Kloster Wienhausen, dessen Besuch man keineswegs versäumen darf. Es war Herzog Otto der Strenge, der die Neugründung am heutigen Standort, in den Urkunden zunächst Westerncelle genannt, veranlasst und durch den Bau einer Burg und durch Privilegien für Ansiedler gefördert hatte. Ihr Ausbau wurde beschleunigt, nachdem Burg und Kirche in Altencelle nacheinander abbrannten. Gegen 1330 war Celle somit bereits ein bedeutender Standort im Herzogtum.
Dass Celle wenige Jahrzehnte später Residenz und spätestens nach 1440 ständiger Aufenthalt der Herzöge werden sollte, wird nur verständlich, wenn man an den dramatischen Konflikt zwischen dem staufischen König- und Kaisertum und dem Fürstenhaus der Welfen erinnert. Dieser spielte sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ab.
Damals war das Fürstenhaus der Welfen (jüngere Linie aus dem italienischen Geschlecht der Este) als Herzöge in Sachsen (d. h. dem heutigen Niedersachsen) und Bayern eine mächtige Herrscherfamilie. In dem Personenverbandsstaat aus etwa 40 hochadligen Familien, die sich die Macht im Reich teilten, kam es zwischen dem Staufer Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen zum Streit um die oberste Macht. Letzten Endes unterlag Heinrich der Löwe, der, nachdem er vom Reich 1180 geächtet wurde, nach England ausweichen musste. Erst unter Kaiser Friedrich II. kam es mit dem Enkel Heinrich des Löwens, Otto dem Kind, zur Aussöhnung. Friedrich belehnte daraufhin 1235 die Welfen mit dem Herzogtum Braunschweig - Lüneburg, einem Gebiet, das die gesamte östliche Hälfte des heutigen Niedersachsens umfasste (Lüneburg, Braunschweig, Hannover und Göttingen). Sagen wir westlich des Harzgebirges. Mit dem ersten sächsischen König, Heinrich, haben die Welfen eigentlich nichts zu tun. Man ist ja immer verwirrt, wenn man ständig von diesen Heinrichen, Ottos usw. hört, da hilft nichts, man muss erstmal den Familienstamm finden.
Der erste Herzog, Otto das Kind, teilte - um die Ansprüche der Söhne zu befriedigen - sein Land in die Teilfürstentümer Braunschweig - Wolfenbüttel und Braunschweig - Lüneburg auf. Die Hauptstadt des nördlichen Teilherzogtums, zu dem auch Celle gehörte, war Lüneburg. Dort wurde Salz gefördert, damals eine der wichtigsten Quellen großen Reichtums. Als im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts der Herzog in Lüneburg kinderlos blieb, kam es zum Erbstreit, in den sich die anhaltinischen, obersächsischen und mecklenburgischen Fürsten einmischten. Das Lüneburger Patriziat nutzte die Gunst der Stunde, um die landesherrliche Oberherrschaft abzuschütteln. Die Burg der Welfen auf dem Lüneburger Kalkberg wurde zerstört. Nachdem sich aber die Welfen wieder als Landesherrn durchgesetzt hatten, suchten sie sich einen friedlicheren Aufenthaltsort und wählten dafür ihre Gründung Celle aus.
Es trifft zu, dass die Bürgerschaft in Celle nicht versuchte, sich gegen die landesherrliche Oberherrschaft aufzulehnen. Der Hof eröffnete ja zahlreiche berufliche Existenzmöglichkeiten, so unter anderem auch als herzoglicher Oberkaninchenmeister. Der Hof war Abnehmer für das Gewerbe der Stadt. Außerdem war Celle bedeutender Stapel- und Handelsplatz an der bis zur Stadt schiffbaren Aller. Spangenberg berichtet über die Fördermaßnahmen der herzoglichen Stadtherrn vor und nach der Reformation. Große Verschwendungssucht der Herzöge hat es offenbar nicht gegeben. Die alte Burg wurde zwar als Renaissanceschloss ausgebaut, aber nicht wie in vielen anderen und darunter wesentlich kleineren Fürstentümern Deutschlands durch eine übergroße barocke Anlage ersetzt.
Die Stadtgestalt der herzogliche Residenz
In dieser Zeit entstand die Anlage der Innenstadt, so wie sie auch heute vorgefunden wird. Deutlich ist im regelmäßigen Stadtgrundriss erkennbar, dass Celle als Kolonistenstadt entstanden war. Am westlichen Rand der Stadt erhebt sich das Herzogsschloss, säuberlich davon getrennt die Straßenblöcke des bürgerlich-städtischen Teils mit den Gebäuden der fürstlichen Administration, den städtischen und kirchlichen Gebäuden und den Privathäusern der Bediensteten des Hofes, der Kaufleute und der Handwerker. Im Vergleich zu süddeutschen Städten auffallend sind die breiten Straßenzüge, die als Marktplätze dienten. Sie sind bis heute von den kleinen und größeren Fachwerkgebäuden im niedersächsischen Stil des 15. bis 17. Jahrhunderts mit ihrer lokalen, veredelten Tradition gesäumt. Nur die Stadtmauer und die Tore sind nicht mehr vorhanden.
In Celle herumzuspazieren ist eine ganz und gar vergnügliche Angelegenheit. Man erlebt (oder glaubt zu erleben) die Welt eines in sich ruhenden Gemeinwesens. Dass dieses Stadtbild bis heute so rein erhalten ist, ergab sich aus der weiteren Stadtgeschichte, konkret aus den Entwicklungen oder besser Verwicklungen innerhalb der Herzogsfamilie, die gleichwohl für die Stadt zum Verlust ihrer Rolle als Residenz 1705 führten. Gewinner war die Stadt Hannover, wäre es anders gekommen, dann hieße die niedersächsische Hauptstadt heute Celle. Dabei vermischt sich oft Kurioses und Makabres - so wie sich das Familienleben ja nun mal oft gestaltet.
Celle vor und nach dem Verlust der Residenz 1705
Celle´s Aufschwung als Residenzstadt war ja ganz auf die herzoglichen Familienverhältnisse und Interessen zugeschnitten. Dabei spielten die „demografischen Sachverhalte“, vor allem die Zahl der (männlichen) Nachkommenschaft die wichtigste Rolle. Die älteren Söhne wurden in das Regierungsgeschäft eingebunden, die jüngeren apanagiert, d. h. standesgerecht versorgt. Dies war keine einfache Angelegenheit, weil die meisten Herzöge eine zahlreiche Nachkommenschaft hatten. Und daher blieb die Geschichte auch in Celle nicht stehen.
Herzog Wilhelm der Jüngere war 1592 in Celle gestorben und hatte neben acht Prinzessinnen auch noch sieben Söhne hinterlassen. Dieses heftige Kinderkriegen war die hervorragendste Aufgabe des Herzogpaares und zwar deswegen, weil man nie wissen konnte, wieviele Kinder das Kindes- und Jugendalter überleben werden.
Mit der zahlreichen, überlebenden Nachkommenschaft war im konkreten Fall ein ernstes Problem entstanden, denn das Land und dessen Erträge reichten nicht aus für eine standesgemäße Versorgung. Vor allem war zu befürchten, dass eine noch größere Nachkommenschaft entstünde. Die sieben Brüder kamen auf die Idee, der Demografie durch Familienplanung ein Schnippchen zu schlagen und bestimmten daher, dass nur einer von ihnen die Linie fortsetzen sollte, die anderen unvermählt bleiben sollten. Der Losentscheid fiel auf den zweitjüngsten Bruder Georg, der also für Nachkommenschaft zu sorgen hatte. Seine Brüder traten dem Alter nach die Herrschaft im Herzogtum an. Nur einer der Söhne konnte dem Eheglück nicht widerstehen. Er fand aber die Lösung, eine Ehe "zur linken Hand" mit einer Bürgertochter einzugehen, woraus sich keine Erbberechtigung ergab.
Bei der Vielzahl seiner älteren Brüder ist es nicht verwunderlich, dass Georg nie zum Regieren kam. Er hinterließ vier Söhne, wobei er bestimmte, dass die beiden älteren das Herzogtum regieren sollten, die beiden jüngeren apanagiert werden sollten. 1648 trat der Erbfall ein, und es war nun zu überlegen, wie verfahren werden sollte. Früher war es durchaus vorgekommen, dass die Regierung gemeinschaftlich ausgeübt wurde. In diesem Falle kam es jedoch zur geographischen Teilung. Der Sohn Christian-Ludwig erhielt Celle (den nordöstlichen Teil), Georg-Wilhelm erhielt Calenberg (d.h. Hannover und Göttingen). Nachdem aber der älteste Bruder Christian-Ludwig 1665 verstorben war, rochierte man noch einmal. Georg-Wilhelm zog nun wieder nach Celle und der dritte Bruder, Johann-Friedrich, übernahm die Herrschaft in Hannover, ihm folgte 1680 Ernst August, der jüngste Sohn Georgs.
Nun schlug das Familiäre Purzelbäume. Georg Wilhelm (Celle) war ein lebenslustiger Mensch, dessen Ansprüchen auf irdisches Glück die kleine Residenz Celle nicht genügen konnte. Die guten alten Vätersitten waren ja längst modernen Auffassungen wie Individualismus und ein Recht auf persönliches, diesseitiges Glück gewichen. Er zog daher in jedem Frühjahr zum Karneval nach Venedig, um sich dort auszutoben, und er blieb konsequenterweise zunächst unverheiratet.
Nachdem die celle-lüneburgischen Stände ihn jedoch des Öfteren gebeten hatten, für Nachkommenschaft zu sorgen, nutzte er eine seiner Fahrten nach Venedig zur Brautschau. Die ins Auge gefasste Gattin fand er in der Tochter Sophie (1630 - 1714) des "Winterkönigs" Friedrichs V. von der Pfalz, der nach dem missglückten Abenteuer in Böhmen im niederländischen Exil Unterschlupf gefunden hatte. Sophie von der Pfalz war sehr klug, in ihrer Erscheinung wenig ansehnlich, aber sie hatte über ihre Mutter, die Tochter Elisabeth des englischen Königs Jakob I., eine Anwartschaft auf den englischen Thron.
Aber wenig später lernte er im holländischen Breda, einem weiteren Treffpunkt des europäischen Hochadels und der nach der Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich vertriebenen hugenottischen Adligen, die schöne Französin Eleonore d´Olbreuse kennen. Zwischen Staatsbewusstsein und persönlicher Neigung hin- und hergerissen, kam er auf folgende Idee: Er bat seinen Bruder Ernst August in Hannover, seine Braut Sophie zu übernehmen. Dieser nahm an und damit war für Georg Wilhelm der Weg frei, Eleonore d´ Olbreuse nach Celle heimzuführen, sie zur Madame de Harbourg zu machen (ihre adlige Herkunft war recht zweifelhaft), um sie danach zu heiraten. Der hohe Preis für diesen wenig achtbaren und doch verständlichen Handel war das Versprechen, kinderlos zu bleiben, um dadurch die Vereinigung der beiden Teilherzogtümer unter dann calenbergischer Regie zu ermöglichen.
Aus dieser Ehe entsprang dennoch eine Tochter Sophia Dorothea (1666 - 1726). Der Bruder und seine Gemahlin Sophie in Hannover verlangten daraufhin, dass sie mit dem Sohn Georg Ludwig zu verheiraten war. Wenn ich es richtig sehe, eine an sich nicht erlaubte Ehe unter Blutsverwandten.
Die aus dynastischen Gründen eingegangene Ehe erwies sich als Hölle für Sophia Dorothea. Sie war - wie ihr Bild im Celler Schloss zeigt - eine sehr schöne Frau, von ihrer Mutter her sehr lebensfroh und am hannoveranischen Hof sehr unglücklich und isoliert, für die attraktive Tochter einer französischen „grande dame“ eine sowohl unverständliche wie grausame Demütigung. Die unglückliche Prinzessin ging eine in ihrem Charakter ungeklärte Beziehung zu dem Grafen Philipp Christoph von Königsmarck ein, dem Bruder der als Mätresse des Königs August des Starken von Sachsen bekannten Aurora von Königsmarck, damals allerdings schon auf das Stift in Quedlinburg verbannt.
Dies war der willkommene Anlass für ihren Ehemann, sich von Sophia Dorothea zu trennen, wobei er sich nicht scheute, alle Hofintrigen einschließlich fingierter Liebesbriefe einzusetzen. Der Graf von Königsmarck, ein verarmter adliger Abenteurer, verschwand spurlos, er wurde aller Wahrscheinlichkeit nach im Schloss von Herrenhausen ermordet. Sophia Dorothea wurde lebenslang auf Schloss Ahlden, eher ein heruntergekommener Gutshof in der Nähe von Celle, eingeschlossen. Ihr Hofstaat bestand aus wenigen Höflingen, die keine andere Aufgabe hatten, als sie im Auftrag ihres Ehemannes zu überwachen. Nach 30jährigem Aufenthalt starb sie dort 1726 und wurde in einer Nacht- und Nebelaktion in der herzoglichen Gruft in der Stadtkirche von Celle beigesetzt. (Die Gruft in der Stadtkirche ist eine Sehenswürdigkeit für sich).
1705 war ihr Vater Georg Wilhelm gestorben und somit die beiden Landesteile vereinigt. Die mehr als dreihundertjährige Rolle Celles als Residenz eines mittelgroßen Herzogtums war somit zu Ende gegangen. Zwar blieben einige Ämter in Celle (so vor allem der Oberste Gerichtshof), aber mit dem Glanz und den wirtschaftlichen Vorteilen aus der Hofhaltung war es nun vorbei.
Celle und das britische Königtum - seltsamer geht es kaum zu!
In der Zwischenzeit war in England Queen Anne 1712 verstorben und damit kam eine ganz andere Entwicklung in Gang. Das englische Parlament hatte 1701 die ausschließlich protestantische Sukzession auf den englischen Thron beschlossen. Die katholischen Stuarts waren somit ausgeschlossen. Und nur dadurch war es möglich geworden, dass Georg Wilhelm in Hannover durch die Anwartschaft seiner Mutter auf den englischen Thron kam.
Er packte in Hannover seine Sachen, nahm seine als besonders hässlich bekannte Mätresse mit (bzw. ließ die nun englische Königin in ihrem Verlies in Ahlden zurück, und gründete als Georg I. das ja bis heute noch regierende Haus Hannover (später Sachsen - Gotha, heute Windsor). Es ist ein kleiner Akt der Gerechtigkeit, dass in der offiziellen Genealogie des britischen Königshauses Sophia Dorothea, die Prinzessin von Ahlden, nicht verschwiegen wird.
Die erste Rose of England in Celle
Wenige Jahrzehnte später bahnte sich in Dänemark eine weitere Tragödie für eine junge Frau an. Die englische Prinzessin Caroline Mathilde, die Schwester des englischen und hannoveranischen Königs Georg III. (also die Enkeltochter Sophia Dorotheas), war 1766 mit dem dänischen König Christian VII. verheiratet worden und es ist wie eine Wiederholung des Lebenslaufs von Sophia Dorothea, was sich nun im fernen Kopenhagen abspielte und in Celle in der herzoglichen Gruft enden sollte.
Mutter und Großmutter Christians taten alles, um die erst fünfzehnjährige Königin ebenso zu isolieren und drangsalieren wie damals Sophia Dorothea. Der willens- und gemütsschwache dänische König Christian hatte sich dem Arzt und Aufklärer Johann Friedrich Struensee anvertraut. Und auch hier entspann sich eine Freundschaftsbeziehung zwischen Mathilde und Struensee, der jedoch keineswegs mit dem Abenteurer Königsmarck zu vergleichen ist. Struensee war ein Reformer und das bedeutete Kampf gegen den Adel, der wohl besonders aktiv gegen jedes war, was seine Privilegien auch nur zum geingsten zu schmälern schien.
Es kam nach wenigen Jahren zur Tragödie, sicherlich auch ausgelöst durch den aufklärerischen Übereifer Struensees, der das Königreich aus seiner mittelalterlichen Dunkelheit mit einem Schlag befreien wollte. Er wurde 1771 gestürzt, grausam gefoltert und hingerichtet. Erst die Intervention des englischen Hofes verhinderte, dass auch Mathilde der Prozess gemacht wurde. Aber auch sie wurde wie Sophia Dorothea abgeschoben, und zwar in das ja leer stehende Schloss zu Celle. Dort ist sie 1772 eingetroffen und für die Bürger Celle´s erschien dies wie eine Wiederbelebung des früheren höfischen Glanzes. Immerhin war ja Mathilde Königin von Dänemark und eine Prinzessin des mächtigen England. Doch dieses neue Glück für die Stadt sollte nur wenige Jahre dauern, denn bereits 1775 starb Mathilde, erst 24jährig.
Celle als preußische Kreis- und Garnisonsstadt
Das Königreich in Hannover bestand bis 1866. Es ist nur durch die politischen Winkelzüge Bismarks zu begreifen, dass 1866 - zu dieser Zeit existierten der Norddeutsche Bund und der deutsche Zollverein bereits - der in jeder Beziehung groteske, sogenannte deutsche Krieg ausbrach. Am Südrand des Harzes nicht weit von Mühlhausen kam es zur Niederlage der Gegner Preußens und danach zur Einverleibung des Königreichs Hannover. Hannover wurde zur preußischen Provinz und Celle zur preußischen Kreisstadt und Garnison. Für Preußen war das Königreich Hannover eine fette Beute, denn nun waren das ostelbische Brandenburg und Preußen mit den preußischen Rheinlanden, die sich bis nach Saarbrücken erstreckten, auch geographisch vereinigt.
Erinnert man sich an die Ausführungen von Spangenberg aus dem Jahr 1826, dass Celle nie durch eine kriegerische Auseinandersetzung zerstört worden sei und auch sonst eine ruhige von größeren Katastrophen verschonte Entwicklung genommen hatte, dann sollte sich diese Aussage auch danach bestätigen. Denn auch im Zweiten Weltkrieg ist Celle im Gegensatz zu den anderen Städten im nördlichen Deutschland nicht zerstört worden. Es trifft sicherlich zu, dass die Grabstätte der Vorfahren des britischen Königshauses verschont blieb. In einer Schrift über die Stadt heißt es, dass "Besucher, die von weither kommen, immer überrascht sind, in dem eher nüchternen Norddeutschland eine solche Stadtperle vorzufinden". Dies trifft wohl zu und man sollte nicht versäumen, Celle einmal zu besuchen. Eine schöne Stadt, ein Blick in eine reiche Vergangenheit, aber auch die Wehmütigkeit, die sich um die Frauenschicksale der Sophia Dorothea und der Mathilde ranken, verbinden sich zu einem urbanen Erlebnis. Auch die Wohnräume der beiden Frauen kann man in den oberen Räumen des Schlosses besichtigen. Zur Zeit Spangenbergs hat man bei einer Renovierung des Schlosses in einer Mauer eine alte Inschrift und einen abgetragenen Frauenschuh aus der Barockzeit gefunden.
Ein weiteres Mal (2007) war ich mit finnischen Gästen in Celle und da ergab sich ein Besuch in der Gruft der Herzöge in der Stadtkirche. Ein kleiner Raum voll mit übereinander gestapelten Prunksärgen. Und der Sarg der Sophia-Dorothea? Er steht schmucklos und isoliert von den anderen gleich an der Treppe, Raumnot in der schon übervollen Kammer oder doch Absicht? Auch dies kann man nicht wissen.