Wie schöne Städte entstanden sind Schöne Landschaften und ihre Geschichte
Wie schöne Städte entstanden sindSchöne Landschaften und ihre Geschichte

 

Eisenberg in Thüringen: Mittelalterliche Bürgerstadt und barocke Residenz für 30 Jahre

 

Die Stadt Eisenberg im östlichen Thüringen ist ein weiteres schönes Beispiel dafür, dass Stadtgeschichte und (politische) Landeskunde in ihrem engen Zusammenhang gesehen werden sollten. Dafür, dass dieses für Eisenberg überhaupt möglich ist, hat August Leberecht Back mit seiner im Jahr 1843 veröffentlichten Stadtchronik die Voraus-setzungen geschaffen. Dieses Werk stellt auf eine besonders klare und den Leser oft mitreißende Weise dar, was in der Stadt wie im Schloss geschah.

 

Die Stadt Eisenberg ist nicht so bekannt, wie die bisher behandelten Städte Quedlinburg, Mühlhausen und Celle. Sie liegt am östlichen Rand von Thüringen zwischen Jena und Leipzig, im Gebiet der historischen Osterlande. Aus historischer Sicht kann Eisenberg in die Kategorie „Ackerbürgerstadt“ eingeordnet werden. Aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde sie herzogliche Residenzstadt, jedoch nur für dreißig Jahre. Wie in Celle und anderen deutschen Ländern galt es, den nachgeborenen Fürstensöhnen eine angemessenen Platz im Leben zu verschaffen. Was der kunst- wie eigensinnige Herzog Christian in Eisenberg „auf die Beine stellte“ ist Grund genug, die Stadt einmal zu besuchen.

 

Die Topographie der Stadt

 

Die Stadt liegt auf einem bogenförmigen, ansteigenden Geländevorsprung, der groß und flach genug ist, um für eine größere Ansiedlung des Mittelalters Platz zu bieten. Dieses Geländeplateau, das die gesamte historische Kernstadt und an ihrem westlichen Rand den Burgbezirk aufnimmt, wird durch zwei Täler aus dem ansonsten hügeligen Landschaftsraum herausgelöst. Es bot daher zumindest im südlichen und östlichen Teil den natürlichen, im Mittelalter so dringend benötigten Schutz. Den historischen Stadtkern, der früher durch die Stadtmauer eingefasst wurde, durchzieht der Steinweg, an dessen oberem Ende der Marktplatz liegt. In der Stadthälfte links dieser Hauptstraße verlaufen die Straßen und Gassen in Bögen, da dort das Gelände bereits abfällt. Auf der rechten Seite ist der Stadtgrundriss dagegen gradlinig, ein Hinweis darauf, dass es sich um eine Stadtgründung handelt, die in eine spätere Zeit fällt als etwa die organisch von einem zentralen Markt aus gewachsenen Städte vor allem in Süddeutschland. Tatsächlich ist das heutige innere Eisenberg die historische „Neustadt“. Die erste Gründung, die bis auf die sorbisch-wendische Besiedlung zurückgeht, wurde nach einem verheerenden Brand 1470 aufgegeben.

 

Was heute als historische Altstadt bezeichnet wird, ist somit im ausgehenden Mittelalter entstanden; dies gilt auch für den Marktplatz als dem Mittelpunkt der Bürgergemeinde Eisenberg. Er vereinigt alles, was man von einer historischen Bürgerstadt erwarten darf, so vor allem die im Platzareal frei stehende Stadtkirche, das Rathaus und die Begrenzung des Platzes durch anspruchsvollere Bürger- und Amtshäuser. In einem weiteren frei im Platz stehenden, historischen Hofgebäude ist heute das Stadtmuseum untergebracht. Es ist jedoch nicht eigentlich ihre bauliche Qualität, sondern die Anordnung der drei Gebäude innerhalb des Platzes, die eine Besonderheit darstellt. Die Kirche nimmt die linke, obere, das Rathaus die untere linke Ecke des Platzareals, das heutige Stadtmuseum die obere Mitte ein. Dadurch entstehen in dem vergleichsweise großen, annähernd quadratischen Platzareal Nischen oder Teilplätze, der kleinere vor dem Westturm der Kirche, der größere, langgestreckte, wohl der eigentliche Marktplatz, vor der Hauptfassade des Rathauses und der Breit- und Schaufassade des Klötznerschen Hauses.

 

Diese Gruppierung mag für eine bürgerliche mittelalterliche Stadt als ungewohnt gelten, weil die Kirche aus ihrer dominierenden Lage gewissermaßen „herausgedrängt“ erscheint. Aber sehr auffällig ist es, dass jedes dieser Gebäude in einer abgewinkelten Lage zueinander steht und dies - wie gesagt - in einem Platz, der doch weitgehend einer gleichmäßigen Geometrie folgt. Man würde gerne wissen, ob hier zufällige oder absichtsvolle Gegebenheiten eine Rolle spielten. Back macht dazu in seiner Chronik keine Angaben, außer der, dass er es als Kuriosum aus fernen Zeiten ansah und darüber nicht gerade glücklich war; was für einen Autor, der in der Zeit des Klassizismus mit dessen Ideal der aufgeräumten Stadtgrundrisse lebte, leicht nachvollziehbar ist. Für den heutigen Besucher ist jedenfalls der Eisenbergische Marktplatz eine Überraschung und reizvolle Besonderheit.

 

Eisenberg im Verlauf vergangener Jahrhunderte

 

In Backs Chronik wird das entbehrungsreiche Leben der Eisenberger vergangener Jahrhunderte geschildert, nicht mit dem Blick des sentimental-mitleidenden, sondern mit dem des guten Chronisten, der die historischen Fakten für sich sprechen lässt. Die erste Besiedlung des Gebiets fällt in das 5. und 6. Jahrhundert, als die slawischen Sorben das Land zwischen Saale und Elster urbar machten. Es war die Zeit der ersten Umwandlung der Natur- in eine für den Menschen nutzbare Kulturlandschaft. Es ging um das Zurückdrängen des Waldes, der naturgemäßen Vegetation in Mitteleuropa, um Platz für Äcker und für Wiesen und Weiden zur Tierhaltung zu schaffen. Zahlreiche Orts- und Flurnamen erinnern bis heute an dieses hartnäckige Ringen jener Menschen gegen die urwüchsige Natur, vor dem manches verblasst, was in den Geschichtsbüchern später als besonders bedeutungsvoll niedergeschrieben wurde. Back findet dazu die folgenden Worte: „Den Boden des Osterlandes und wohl auch den nördlichen Teil unserer Gegend fanden die Sorben sehr fruchtbar, weshalb sie ihn auch sorgfältig bebauten und mit solcher Liebe an ihm hingen, dass sie lieber den härtesten und entehrendsten Druck (von Seiten der karolingisch fränkisch-sächsischen Kriegsmacht) sich gefallen ließen als von ihm wichen. Ihnen verdankt unser Land neben dem mehrfachen Anbau von Dörfern und Städten ganz besonders die Kultur des Bodens, aus dem sie die auch jetzt noch hier gewöhnlichen Feld- und Gartenfrüchte zogen, womit sie, sowie mit Vieh und Pelzwerk, Handel trieben“. Eine Aussage der historischen Gerechtigkeit, die man so leicht nicht in der deutschen Geschichtsschreibung über die „Ostkolonisation“ wiederfindet.

 

Eine zweite Besiedlungsverdichtung - nun auch verbunden mit einer Zuwanderung aus dem Westen - erfolgte im 12. und 13. Jahrhundert als das Land östlich der Saale schon längst zum Alten Reich gehörte. Eisenberg wurde zum oppidum, d.h. eine Ansiedlung mit einer hervorgehobenen Stellung sowohl nach der Bevölkerungszahl und als auch als Standort der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit. 1274 erfolgte die Verleihung des Stadtrechts durch den Landgrafen von Thüringen. Die Stadt verfügte somit seit dem 13. Jahrhundert neben der Burg, deren Ursprünge nach Back bis auf die sorbische Zeit zurückgehen dürften, über eine Stadtmauer, eine gewisse Verwaltungs- und Gerichtsbarkeitsautonomie, bis zur Reformation ein reich begütertes Nonnenkloster und über die wirtschaftlichen Erträge aus der Gewerbe- und Handelstätigkeit für das Umland.

 

Gleichwohl dürfte Eisenberg das gewesen sein, was die Historiker als mittelalterliche Ackerbürgerstadt bezeichnen. Das Leben vollzog sich unter den harten Bedrängungen, die durch schlechte Ernten, Teuerungen, Hungersnöte oder durch die Pest noch verschlimmert wurden. Hinzu kamen die politischen Auseinandersetzungen der weltlichen Obrigkeit, in deren Verlauf auch Eisenberg mehrfach zerstört worden ist. Eine zusätzliche Gefahr stellten die offenen Feuerstellen in den Häusern dar. In den „Annalen“, dem zweiten Teil der Backschen Chronik, wird festgehalten, wie besorgt man sein musste. Trotz der günstigen Lage im Durchgangsland zwischen Ost- und Süddeutschland hat die Stadt nicht vom Fernhandel profitieren können. Die Handelswege von überörtlicher Bedeutung verliefen zwar durch die Region, berührten die Stadt selbst jedoch nicht. Es waren dies der Weg von Nürnberg nach Leipzig, der links der Weißen Elster verlief, und der ebenso wichtige vom Rhein über Erfurt nach Leipzig überquerte bei Naumburg die Saale. Eisenberg blieb daher in seiner wirtschaftlichen Rolle auf die Versorgung des Nahbereichs des schmalen Landschaftsstreifens zwischen Saale und Weißer Elster beschränkt. Einer Dynamik der stadtbürgerlichen Emanzipation wie in Mühlhausen fehlte dadurch die wirtschaftliche Grundlage. Mitte des 17. Jahrhunderts lebten in Eisenberg rund 3.000 Menschen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also noch vor dem allgemeinen Bevölkerungswachstum und der Industrialisierung, die auch Eisenberg einen erheblichen Aufschwung brachte, waren es rund 4.700.

 

Der Schlossbezirk

 

Der Schlossbezirk befindet sich an der Südwestflanke der historischen Innenstadt, dort fällt das Gelände in die Talaue mit den schön angelegten Terrassen des Schlossgartens hinunter. Als frühere Burg ist das Gebäude ein Ort der Festigung der mittelalterlichen Gebietsansprüche der weltlichen Obrigkeit, als Schloss ein Monument aus einer Zeit, als es schon friedlicher zuging. Der doppelte Name „Schloss Christiansburg“ ist jedenfalls historisch gesehen sehr gut gewählt.

 

Gerade in Thüringen ist man ja gewohnt unter dem Begriff „Schloss“ - wie etwa in der nahe gelegenen ehemaligen Residenz Altenburg - erstaunlich große Gebäude vorzufinden. Auch unter dem Begriff „Barockschloss“ stellt man sich eine möglichst groß geratene, symmetrisch ausgerichtete Anlage mit Zentral- und Flügelgebäuden und einem Ehrenhof vor. Gebäude dieser Art sind in den Residenzstädten der Kleinstaaten des 16. und 17. Jahrhunderts errichtet worden - auch wenn die finanziellen Mittel des jeweiligen Landesfürsten es eigentlich nicht erlaubten. Nicht so in Eisenberg, denn die räumlichen Ausmaße der Christiansburg sind bescheiden. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass das Schloss zweigeteilt ist: Der weltliche Wohn- und Repräsentationstrakt und die Schlosskirche mit ihrer Kuppel, die die Gesamtanlage deutlich überragt und somit zunächst eher als Turm erscheint, bilden eine bauliche Einheit. Vor dem weltlichen Teil der Gesamtanlage mit dessen schlichter Fenster- Wandaufteilung ist ein Eingangsportal vorgeblendet, das durch seine architektonische Qualität andeutet, dass hier Baumeister am Werk waren, die ihr Metier verstanden. Die reiche Architektur im Inneren der Schlosskirche ist von Außen nicht erkennbar. Dieses Gebäude ist im Zeitraum zwischen 1680 und 1712, als Eisenberg zur Residenzstadt des Herzogs Christian geworden war, durch Ausbau der alten Burg entstanden. Bevor man sich in weitere Details des Bauwerks und die Motive des herzoglichen Bauherrn vertieft, sollte man sich die Frage stellen, wie es überhaupt zu diesem eisenbergischen Idyll eines Ministaates für 30 Jahre und seiner „Haupt- und Residenzstadt“ kam?

 

Die politische Geschichte des Landes zwischen Saale und Weißer Elster

 

Wie so oft bei historischen Standortanalysen ist es notwendig bis auf die Zeiten Karls des Großen und des Entstehens des Alten Reichs zurückzugehen, also in das 9. und 10. Jahrhundert. Durch die Eroberungen Karls des Großen im Osten des fränkischen Großreiches wurde das Gebiet entlang der Elbe- und Saale Reichsgrenze und somit Kontakt- wie Konfliktzone zwischen dem christlichen Westen und dem heidnisch-slawischen Osten des damaligen Europas. Im 10. Jahrhundert, als die sächsischen Herzöge seit Heinrich I. Könige des ostkarolingischen, deutschen Teilreiches geworden waren, waren die Gebiete entlang der Elbe und Saale die Verteidigungslinie gegen die jährlich sich wiederholenden Ungarneinfälle und somit auch wehrfähig gemacht worden. Ab dem 11. Jahrhundert erfolgte von der Saale- und Elbelinie aus die Expansion des Reichs in das heutige Sachsen und noch später zu Zeiten des askanischen Grafen Albrecht der Bär in das heutige Brandenburg, jeweils bis zur Oderlinie. Erst dadurch wurde Thüringen so bedeutend für den kulturellen, wirtschaftlichen und staatlichen Zusammenhalt in der Mitte Europas.

 

Die Erhebung Eisenbergs zur Stadt erfolgte durch Landgraf Albrecht aus der Grafenfamilie der Wettiner. Damit ist der Name der Dynastie genannt, die in Eisenberg über viele Jahrhunderte hinweg die weltliche Obrigkeit in der Hand hatte. Die Wettiner hatten sich ausgehend von ihrem Stammsitz, der Burg Wettin an der Saale unterhalb von Halle, nach und nach die Landesherrschaft im Gebiet der heutigen Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gesichert, als Kurfürsten (Kursachsen) nahmen sie im alten Reich eine politische Schlüsselrolle ein. Das Entstehen ihrer Macht erfolgte zunächst in Übereinstimmung mit der königlich-kaiserlichen Reichssouveränität, dann im Gegensatz zu ihr mit dem Ziel der möglichst weitgehenden Verselbständigung des eigenen Herrschaftsbereichs. Die Überlassung des umfangreichen Reichslandes in Thüringen unter Kaiser Friedrich II. (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) in den Besitz der Wettiner und der Zerfall der Reichssouveränität im Interregnum nach dem Ende der Stauferzeit markiert den Übergang zur vollen wettinischen Souveränität.

 

Es entstand jedoch kein in sich gefestigtes Herrschaftsgebiet zwischen Werra und Oder, sondern ein Konglomerat aus wettinischen Teilherrschaften, dies vor allem nach der Teilung in eine albertinischen Linie (das heutige Sachsen und Sachsen-Anhalt) und eine ernestinische Linie (das heutige Thüringen und auch im Gebiet um Eisenberg) im Jahr 1485. Während das albertinische Sachsen (Kursachsen) gemäß der Bestimmung der Goldenen Bulle, der von Karl IV. geschaffenen marginalen Reichsverfassung, nicht weiter aufgeteilt werden durfte, zerfiel das westliche, ernestinische Gebiet in eine weder zeitlich noch räumlich kaum überschaubare Kleinstaaterei, je nachdem wie viel erbberechtigte Söhne zu versorgen waren. Um das Jahr 1700 bestanden auf dem Gebiet des heutigen Thüringen 10 ernestinische Herzogtümer, vier weitere autonome Fürstentümer (Schwarzburg und Reuß mit jeweils zwei Linien) und zudem noch Gebiete unter preußischer und kurmainzischer Souveränität.

 

Wenn der Leser wissen will, warum dieser Exzess des politischen Partikularismus überhaupt möglich geworden war, muss man sich zunächst einmal vom Schicksal Thüringens und Eisenbergs abwenden und den Blick auf die Ursachen richten. Samuel von Pufendorf hat in seiner berühmten Schrift „Die Verfassung des deutschen Reiches“ aus dem Jahr 1667 das Alte Reich als „Staatsmonstrum“ bezeichnet. In der Tat waren die inneren Widersprüche, die aus der Zeit des Entstehens des fränkisch-karolingischen Reichs herrührten, nicht zu übersehen.

 

Die Franken waren seit Childerich I. (436 - 482), Chlodwig I.(466 - 511) und schließlich Karl dem Großen (742 - 814) durch Unterwerfungskriege gegenüber den gallo-romanischen Gebieten, den Staatsgründungen anderer germanischer Stämme und schließlich im Osten (Sachsen) wie in Oberitalien die Beherrscher des nun christlich gewordenen Abendlandes geworden. Diese Heerführer setzten in den eigenen und den unterworfenen Gebieten das spätantike Konzept der monarchischen Souveränität durch, die uneingeschränkte Verfügungsgewalt des Königs und seiner Nachfahren über Land und Leute. Das war ein deutlicher Bruch mit der Tradition, denn die germanischen Stämme hatten ihre Könige und Herzöge jeweils gewählt und dies auch oft nur in Kriegszeiten.

 

Indem auch die Herzöge und Grafen der zweiten Machtebene diese Souveränität für das durch sie kontrollierte Gebiet forderten und in Zeiten der Schwäche der Königsmacht auch durchsetzten, entstand seit dem 10. Jahrhundert der uferlose politische Partikularismus. Dieser Vorgang wurde noch dadurch beschleunigt, weil das germanische Erbrecht, die Berücksichtigung aller Söhne im Erbfall, beibehalten worden war. Schon Karl der Große hatte eine Aufteilung geplant, die jedoch nicht zustande kam, weil ihn nur ein Sohn, Ludwig, überlebte.

 

Mit diesem Ludwig kam die Aufteilungsdynamik in Gang. Aber vor allem durch die Realteilung der Herzogtümer und Grafschaften kam es zu jener unendlichen Kette von zunehmender räumlicher Zersplitterung, der ständigen Zerwürfnisse innerhalb der herrschenden Familien und der territorialen Kämpfe um die Vorherrschaft jeweils mit schlimmen Folgen für die Bevölkerung.

 

Das Entstehen des Herzogtums Sachsen-Eisenberg

 

Auch Eisenberg wurde im Mittelalter im Zuge innerwettinischer Konflikte mehrfach verwüstet, die Schutzeinrichtungen, vor allem der Bau und der Erhalt der Stadtbefestigung, stellten für die wenigen Hundert Einwohner in den damaligen Stadtgemeinden eine riesige wirtschaftliche Belastung dar, die ja nicht vom Souverän bezahlt, sondern in Fronarbeit erbracht werden musste. Für die Erkenntnis, dass Privatisierung von Macht nicht zum Allgemeinwohl beiträgt, sondern es untergräbt, weil Familieninteressen und demographische Zufälle wichtiger werden als die Sachnotwendigkeiten der Zeit, hat Europa viele Jahrhunderte benötigt. Der erste Staatstheoretiker, der davon schrieb, dass politische Macht nicht als Privatbesitz gesehen werden darf, war John Locke.

 

1675 starb Herzog Ernst aus dem Herzogtum Sachsen-Gotha, der 1672 das Herzogtum Sachsen-Altenburg geerbt hatte. Er hinterließ sieben Söhne und diese vereinbarten, das schon wenig umfangreiche Land unter sich aufzuteilen. Der siebte von ihnen, Christian, erhielt das altenburgische Amt Eisenberg, das dadurch zum sächsisch-eisenbergischen (Teil-) Herzogtum aufstieg. 1677 zog Christian in seine „Lande“ ein und ließ sich huldigen, und ab 1680 ließ er sich in der halbverfallenen Burg auch tatsächlich nieder. Damit beginnen die dreißig Jahre eisenbergischer Residenzherrlichkeit.

 

Herzog Christian und der Ausbau Eisenbergs zur Residenz

 

Eisenberg war nun unvermittelt Residenzstadt eines allerdings sehr kleinen Staates geworden, auf diese Rolle war weder die Stadt und noch die alte Burg vorbereitet. Und es ist daher nicht verwunderlich, dass Herzog Christian sogleich als Bauherr auftrat. Dabei kam ihm die Mitgift seiner Frau Christiane, die beachtliche 20.000 Taler betrug, zustatten. Seine erste Ehe dauerte jedoch nur wenige Jahre, weil Herzogin Christiane bei der Geburt der Tochter Christiane erst 18jährig starb. Später heiratete er zum zweiten Mal, da diese Ehe kinderlos blieb, war es im Jahr 1707, als Christian verstarb, mit der herzoglichen Würde und Herrlichkeit wieder vorbei (tatsächlich erst 1722 als seine Witwe verstarb). Eisenberg kam mitsamt den Schulden, die der Schlossbau und allzu umfangreiche Ausgaben u.a. auch für wohltätige Zwecke hervorgerufen hatten, an die wieder gegründete Linie Sachsen-Altenburg, als Teil dieses Kleinstaates bestand es bis 1920, als die wettinisch-ernestinischen Teilstaaten im Land Thüringen aufgingen.

 

Herzog Christian war eine durchaus erstaunliche, zumindest beachtenswerte Persönlichkeit. Er hatte die übliche Erziehung eines Fürstensohnes genossen, die auch die Bildungsreise in den Süden Europas, nach Frankreich und in die fortschrittlichen Niederlande einschloss. Während andere Prinzen diese Reisen mehr unter dem Gesichtspunkt des Genusses von „Wein, Weib und Gesang“ und besonders am Karneval in Venedig betrachteten, ging Christian den Weg einer echten Bildungsreise, er erwarb sich „Weltklugheit“ und sein besonderes Interesse galt der Kunst des italienischen Kulturraumes. Seine „Tragik“ war es, dass er seine Talente nur in einem sehr kleinen Umfang verwirklichen konnte, aber dies tat er mit Inbrunst, auch wenn ihm im Alter das melancholische, ja sogar hypochondrische Element seines Gemüts einholen sollte. Es ist ganz erstaunlich, was er an gemeinnützigen Maßnahmen (der Verbesserung der physischen Verhältnisse, der Armenfürsorge und des Schulwesens und darin eingeschlossen der „Mädchenbildung“) durch finanzielle Unterstützung verwirklicht hat. Das ansonsten übliche Halten von Mätressen hat er vermieden. Sein Interesse galt Fragen der Ingenieurskunst, der Gewerbeförderung und der Verschönerung seines Landes. Er reiht sich damit in die nicht gerade zahlreiche Schar der frühaufklärerischen Fürsten des beginnenden 18. Jahrhunderts ein.

 

Aber der wohlwollende Charakter hat ihn nicht geschützt, auch Dinge zu tun, die sein Gesamtbild ambivalent erscheinen lassen. So war er nicht gegen den Irrglauben der Zeit gefeit, Gold, das er so bitter nötig hatte, herstellen zu können. Er selbst hat in einsamen Nächten experimentiert, der Umgang mit giftigen Stoffen dürfte mit eine Ursache seines frühen Todes gewesen sein. Und der wirtschaftliche Sinn hat ihm völlig gefehlt, wie aus den großen Schulden sich ermessen lässt, die er hinterließ. Damit steht er aber nicht allein. Seine wahre und auch ihn ehrende Leidenschaft war aber ganz offensichtlich der Kunst gewidmet. Und diese konnte er im Verlauf des Um- und Ausbaus seines Schlosses verwirklichen.

 

Das Schloss und die Schlosskirche

 

Wie gesagt, kann sich das Schloss im Umfang nicht mit anderen messen. Ohne den Kirchenanbau wäre es eher als eine größere Villa zu bezeichnen. Aber es birgt Schätze, zum Einen das Portal zur Stadtseite, dann die Stuckaturen, Wand- und Deckengemälde im Inneren des Schlosses und schließlich - als architektonischer Höhepunkt - die Schlosskirche. Alles dies ist durch Herzog Christian veranlasst und weitgehendst verwirklicht worden, man darf wohl vermuten, dass er sein Leben lang von einer Baustelle aus residiert hat.

 

Welche Zeichen gehen von diesen Gebäuden aus? Das Portal macht einen wohlproportionierten Eindruck, aber vor allem erfüllt es die Aufgabe, dem Gebäude - soweit es die bescheidenen finanziellen Mittel erlaubten - den herrschaftlichen Anstrich zu geben, auf den der Herzog als absolutistischer Herrscher sowohl Anspruch hatte wie - im Verhältnis zu seinen Verwandten - ja auch Wert legen musste. Dafür sorgen vor allem die beiden überlangen korinthischen Säulen und der darüber liegende Giebel. Im Innern des Schlosses fallen die Stuckaturen in den Privatgemächern und dem Repräsentationsraum des „Kaisersaals“ auf, weil sie von einer außerordentlichen Plastizität sind, der Begriff „Stukkatur“ ist eigentlich irreführend. Andere ähnlich beeindruckende Beispiele dafür, eine ganze Landschaft aus Frauen, Amouretten usw. entlang der Deckenfriese und im plastischen Aufbau der Deckenflächen sind mir jedenfalls nicht bekannt. Die Wirkung ist auch deswegen so grandios, weil die Räume vergleichsweise niedrig sind. Die Wand- und Deckengemälde liegen im üblichen Rahmen barocker Motive, darunter befindet sich eine Besonderheit, der bereits erwähnte Kaisersaal, weil dort eine Reihe von römisch-deutschen Kaisern an den Wänden und in der Decke allegorisch (d.h. in antiken Gewändern) dargestellt sind, diese hat der Herzog sich auf den Kunstmärkten beschafft. Inwieweit es auch dabei um die Demonstration von (nicht vorhandener) eigener Größe ging oder auf die Kontinuität der Reichsidee hingewiesen werden sollte, darüber kann man nur spekulieren. Das große Wandbild, indem er zu Pferde in Rüstung dargestellt ist, hat etwas Naives oder besser gesagt Rührendes an sich, kriegerisch war er im Gegensatz zu vielen Prinzen, die sich als Feldherrn im Dienst fremder Mächte verdingten, keineswegs. Jedenfalls hat Herzog Christian seinen Gästen etwas geboten, was auch heute noch als historisches Kabinett ganz aus dem Rahmen der üblichen, oftmals sehr süßlichen Deckenmalereien der Barockzeit herausfällt.

 

Die Schlosskirche ist im Äußeren eine Fortsetzung des im Grunde schlichten Gebäudes, im Inneren eine wirkliche Überraschung und zweifellos der Höhepunkt eines Besuchs in Eisenberg. Nach dem ersten Staunen vor dem architektonischen Aufwand kommen verschiedene Standpunkte zur Bewertung dieses Kirchenraumes in den Sinn. An erster Stelle der der Architektur und Ästhetik. Der Gesamtbau ist ja nicht gerade umfangreich und deshalb ist es schon ein guter Einfall das Kirchenschiff quer zu Hauptachse zu legen. Auf diese Weise wird die Breite des Raumes geschaffen, die erst die Prachtentfaltung des Altarraums ermöglichen kann. Diese ist im Großen dadurch erreicht, dass das Licht über die hinter dem Altar liegende Kuppel einfällt, und dadurch, dass der Altar unter dem hohen, den Altarraum tragenden wie öffnenden Bogen selbst als vielgliedriges Monument innerhalb des Gesamtraums gestaltet ist. Hinzu kommt, dass das Innere durch die Emporen an den Schmalseiten zur Einheit geschlossen wurde. Im Kleinen ist es die reiche Ornamentik. Es kann wohl sein, dass mancher protestantische Geistliche über die überwältigende, „katholisch-jesuitische“ Architektur den Kopf geschüttelt und sich gefragt hat, ob hier Gläubigkeit oder weltliche Repräsentation im Vordergrund standen.

 

Gemessen an der Prachtentfaltung der Schlosskirche stellt sich tatsächlich die Frage, welches Bild sich Herzog Christian von der Majestät Gottes einerseits und von seiner eigenen als Landesfürst im absolutistischen Herrschaftsverständnis seiner Zeit andererseits machte. Es besteht ja ein Zwiespalt zwischen der unbedingten Gläubigkeit als Erbe des Mittelalters und ihrer Erneuerung durch die Reformation einerseits und der Auffassung von weltlicher Obrigkeit der frühen Neuzeit andererseits. Aus dieser Bewertung lassen sich ähnlich wie im Fall der Schlosskirche in Ludwigslust Zweifel über die Motivlage (auch mit Blick auf die Fürstenlogen in beiden Kirchen) anstellen. Wer steht über wem? Hier wie dort ist es vielleicht die Schlichtheit des Zinnsarges und auch die Art des Begräbnisses (ohne Prunk), die zu berücksichtigen sind, wenn überhaupt ein Urteil im Nachhinein als notwendig empfunden wird.

 

Die Erfahrungen aus seiner Jugendzeit, sein Lebenswandel, sein Charakterzug des Wohlwollens und der guten Taten und schließlich auch seine Melancholie sprechen dafür, dass seine wahre Option beim Bau der Kirche die der Kunst war, der er in Eisenberg ein anmutiges wie erhabenes Denkmal errichtet hat. (Anmut und Erhabenheit scheinen nach den Auffassungen der Kunsttheorie Gegensätze zu sein, aber nicht so in Eisenberg. Auch wenn das Kunstverständnis des Besuchers in eine andere als die des Barocks geht, wird er diesen Raum in Erinnerung behalten).

 

Auch die Stadt Eisenberg kann für sich in Anspruch nehmen, was Joseph Roth 1924 in seinem Buch „Reise in Galizien“ geschrieben hat: „Städte verbergen viel und offenbaren viel, jede hat mehr Zeit als ein Berichterstatter, als ein Mensch, als eine Gruppe, als eine Nation. Die Städte überleben Völker, denen sie ihre Existenz verdanken, und Sprachen, in denen ihre Baumeister sich verständigt haben“.

 

Erschienen in der Zeitschrift „Stadt und Gemeinde" 7-8 / 2007

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© Rolf Derenbach

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