Wie schöne Städte entstanden sind Schöne Landschaften und ihre Geschichte
Wie schöne Städte entstanden sindSchöne Landschaften und ihre Geschichte

Rolf Derenbach

 

Modelleisenbahn - Spielzeug oder mehr?

Eine kleine Eloge 

 

 

 

 

 

Hier ist des Modellbauers wahrer Himmel

Zufrieden jauchzet Groß und Klein

Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!

 

 

Das Zitat[i] passt, denn an Ostern 2022 ist diese kleine Eloge an die große und kleine Eisenbahn geschrieben worden, fünf Jahre nachdem die Photographie entstanden ist. Vieles hat sich in der Zwischenzeit ereignet. Und es war nötig geworden, die Schienen wieder einmal zusammenzustecken und die Lokomotiven, die Personen- und Güterwagen auf die Gleise auf dem Zimmerboden zu setzen.

 

Einleitung

 

In einer Zeit, die nicht so vergnüglich ist, sollte man umso mehr dem Vergnüglichen nachspüren, das - ja oft aus dem Erinnern - in das Gemüt überschwappt. Umso mehr, wenn man nicht mehr der Jüngste ist, sich somit im nachberuflichen Zustand befindet und über viel Zeit verfügt, die auszufüllen ist.

 

Es kann zum Beispiel mit der Modelleisenbahn verbunden sein, dann, wenn sie wieder einmal aufgebaut wird. Wenn man damit beschäftigt ist, kommt so mancherlei ins Gemüt. Zunächst der zeitlich-familiäre Rückblick, die Modelleisenbahn als generationenübergreifendes Spielzeug.

 

Danach folgen die technischen Fragen: Warum heißt die Eisenbahn so? Wegen der eisernen Lokomotive etwa? Oft glaubt man eine Frage sofort beantworten zu können. Doch in diesem Fall irrt man. Mit dem Dampfross selbst sich zu beschäftigen, liegt auf der Hand. Wenig Spielzeug ist so geeignet, sich Grundwissen über Natur und Technik zu erwerben. Am 1. Oktober 1829 begannen die Probefahrten von vier konkurrierenden Lokomotiventwürfen der Bahn zwischen Liverpool und Manchester. Die Rocket, der Entwurf George Stephensons, der Sohn eines armen Heizers, erfüllte nicht nur die gestellten Anforderungen, 20 tons Last und 16 miles pro Stunde, sondern übertrafen sie sogar. Auf ebener Strecke erreicht sie bis zu 50 miles die Stunde! Am 15 September 1830 nahm die Liverpool-Manchester Eisenbahn ihren Betrieb auf. Die Eisenbahn wird somit in wenigen Jahren 200 Jahre alt, 200 Jahre, die die Welt veränderten.

 

Welche Gedanken kommen dem Erbauer und Betreiber der Modelleisenbahn - wie häufiger Nutzer der großen Bahn - noch in den Sinn? So vor allem liegt es nahe, sich wieder einmal mit Raum und Zeit zu beschäftigen, gewissermaßen von Isaac Newton bis zu Albert Einstein. Alles bewegt sich, wir und die kleine Lok auch, wenn wir ihr Energie zukommen lassen. Im Weltall durch die Gravitation, im Zimmer über die Steckdose. Und lassen sich auch unsere inneren Gefühls- und Gedankenwelten durch eine Modelleisenbahn auf dem Zimmerboden nachbilden? Dazu ein Vorschlag am Ende dieser kleinen Eloge.

 

Die Modelleisenbahn - das generationenüber-greifende Spielzeug

 

Es gehörte mit zu den größten Freuden eines in den 40er und 50er Jahren aufgewachsenen (wohl ausschließlich männlichen) Menschen, dass er eine Modelleisenbahn - von Märklin natürlich - zu Weihnachten bekommen hatte. So war es im Fall meiner beiden Brüder. Die Eisenbahn wurde zu Weihnachten ausgepackt und dann wurden auch Experimente durchgeführt. Z.B. konnte man ein Kissen auf den Boden legen, die Schienen hoch darauf legen und dann konnte die Lok - eine schwere 001 D - Zuglok mit Vollgas drauf losfahren, und sie stürzte dann am Ende in die Tiefe. So habe ich es erlebt. Meine beiden Brüder waren zwar keine Rabauken, aber dieser Missbrauch hatte mich, der 8 und 4 Jahre jüngere, verblüfft. Das Besondere / Abwegige hat sich das Bewusstsein eingegraben, nicht das Sinngemäße, der Schienenkreis mit dem seine Runden drehenden Zug. Seltsam!

 

Allerdings nur episodisch, denn meine Brüder lebten in Stuttgart und ich in Baden-Baden[ii]. Nur zu Weihnachten war ich Zeuge der Aktivitäten meiner Brüder auf diesem Gebiet. Nur gelegentlich durfte auch ich tätig werden. Unser Vater freute sich, dass das Geschenk gut angekommen war, unsere Mutter hoffte, dass das Wohnzimmer demnächst wieder begehbar sein würde.

 

Als meine Brüder dann das Interesse an der Eisenbahn verloren hatten, erbte ich sie. Es waren noch mehr Schienen und so weiter hinzu gekauft worden. So habe ich in der Halle der Tankstelle meines Onkels die Eisenbahn - mit Landschaft natürlich - aufgebaut.

 

Dann war auch ich älter geworden, und die Eisenbahn wurde erst wieder aktiviert als unser Sohn in das entsprechende Alter gekommen war. Das heißt Ende der 1970er Anfang der 1980er Jahre. Und so bauten wir an Weihnachten die Eisenbahn wieder auf, diesmal auf dem Wohnzimmerboden in Bonn.

 

Unser Kater schaute dem Treiben zu. War er der Meinung, dass es sich bei der Lok um eine besondere Art von Maus handelte? Anscheinend ja, denn nach langem Nachdenken ging er in Lauerstellung über, und als unsere kleine Rangierlok ohne angehängte Wagen vorbei ratterte, schlug er zu! Da die Lok nun neben dem Gleis lag, und sich nicht rührte, war der Jagdspaß für ihn zu Ende.

 

Wieder ging auch diese Zeit zu Ende. Und ich musste noch warten bis meine Enkeltochter und dann der Enkelsohn in das entsprechende Alter gekommen waren. Diesmal war der Plot schon etwas raffinierter. Denn wir simulierten eine Bahnstrecke von Wuppertal nach Köln, die Wuppertal - Kölner - Eisenbahngesellschaft, die WKE. Meine Enkeltochter war Bahnchef - hieß dementsprechend Mehdorn, ihre Freundin bekam auch einen höheren Posten als Bahnhofsvorsteherin und Ansagerin, während ich eine bescheidene Rolle als Weichensteller und Ankuppler einnahm.

 

Einige Jahr später baute ich mit dem Enkelsohn lange Strecken, von einem Zimmer über den Flur in das andere Zimmer, mit einer Schleife durch die vorhandene kleine Kammer. In der Mitte der eingleisigen Strecke befand sich ein Ausweichgleis, dort musste der Zug von A nach B warten, bis der Gegenzug von B nach A vorbeigefahren war. Verständigt wurde durch lautes Zurufen von den beiden Endbahnhöfen aus.

 

Auf gut Kölsch natürlich, das heißt „ufjepasst, de Zoch kütt!“

 

Da wir drei Trafos hatten, bauten wir Stromkreise. Somit konnte ein Zug im Bahnhof auf dem Parallelgleis warten, bis der Schnellzug ein- und wieder ausgefahren war. Jetzt kam ein anderes Werkzeug. nämlich der kleine, digitale Fotoapparat, hinzu. Wenn man ihn auf einen Güterwagen draufsetzte, konnten wir kleine Filmchen drehen, besonders anregend im Dunkeln, weil sich bewegende Lichter, die Lichter der Lok und die Bahnhofslampen, ein Spannungsfeld erzeugen, umso mehr, wenn zwei Züge unterwegs sind.

 

Wie zu sehen ist, sind auch Fotos fast realistischer Art entstanden.

 

Nun ging auch diese Epoche zu Ende und parallel dazu meine Berufszeit. Ich war also mit meiner Eisenbahn allein und musste sie ohne Hilfe wieder aufbauen. Gleichwohl war ich ab und zu der Meinung, dass in meinem vorgerückten Alter so kindliche Vergnügungen nicht mehr angemessen sind. Doch hat nicht Friedrich Schiller gesagt, dass man möglichst viel von dem, was man als Kind - und später mit den eigenen Kindern - erlebt hat, in das Alter mitnehmen sollte. „Nur wer spielt, lebt“ - so lautet sein Ratschlag. Und ist es nicht so, dass das Bewegte das Vorherrschende in der Gemüts- und Verstandsempfindung ist? Soweit die familiäre Geschichte.

 

Technikwissen, Erfahrung und Planung

 

Die Modelleisenbahn bietet neben dem Vergnügen einen schönen und lehrreichen Zugang zum Zusammenhang zwischen Naturwissen und Technik. Sicher es hängt Einiges davon ab, wie viel Material nach mehreren Weihnachtsfesten man schon hat. Wenn schon mehr, dann ist der Modellbauer schon herausgefordert, denn nun ist ein Optimum an möglichen Bewegungsläufen des Zugs, der Züge, herzustellen.

 

Die Anfangsbahn ist vermutlich ein Kreis, nun kommen die Weichen dazu, damit mehrere Kreise, die Züge sollen einmal in der Richtung, aber auch in der Gegenrichtung sich bewegen können. In einem Bahnhof sollen die Kreise zusammenkommen.

 

Es ist somit Planarbeit erforderlich, damit mehrere Züge fahren und der eine im Bahnhof hält, ein anderer noch unterwegs sein soll. Dazu sind verschiedene Stromkreise zu bilden, die mit Schaltern zum Halten unterbrochen werden bzw. zum Fahren geöffnet sind.

 

Der Drang des Modellbauers geht auch in Richtung der Umgebung, der Häuser. Wenn ich doch nur unseren ersten Bahnhof noch besäße! Er war die Nachbildung des Inselbahnhofs in Lindau am Bodensee, ganz im Bauhausstil und noch aus Blech. Einige der Türen konnte man öffnen, und auf dem Bahnsteig tummelten sich kleine Figürchen, der Bahnhofvorsteher in Uniform, Reisende, die Koffer schleppten, und ihre Begleiter, die zum Abschied ihnen zuwinkten.

 

Die waren damals noch aus bemaltem, gebrannten Ton. Heute sind die Bahnhöfe (wir haben das Modell des Bonner Bahnhofs), die Anlagen des Güterbahnhofs, die Stadthäuser, kleinere Anwesen auf dem Land, eine Dorfkirche und eine Burgruine aus Plastik, es sind Modellbausätze, aus denen man - ebenso vergnüglich - sie anfertigt.

 

Als Bäume benutzten wir Tannenzapfen.

 

Nun, wenn ich zurückdenke, so kann ich vermuten, dass die Grundlage für meinen Berufswunsch (nachdem der erste als Lokführer wegen meiner Kurzsichtigkeit aufgegeben werden musste) nämlich Stadt- und Regionalplaner damals gelegt wurde.

 

Als Modellbauer kommt man ja fast zwangsläufig zu der Frage, wie das Eisenbahnwesen überhaupt entstanden war.

 

Warum heißt die Eisenbahn eigentlich "Eisenbahn"?

 

Man denkt, weil die Lok aus Eisen ist[iii]. Das trifft jedoch nicht zu! Es war der walisische Kohlenminenbesitzer Reynolds, dem es leid war, dass die Loren auf dem Weg zum Hafen auf den Holzschienen immer wieder umkippten. Zudem waren die Schienenstränge auf den Wegen, die auch von Fußgängern, Reitern und Kutschen benutzt wurden, verlegt. So ergaben sich ständig Streitereien, und, wenn nach langen Regengüssen die Wege vermatscht waren, mussten die Gleise wieder justiert werden. Er kam als Erster auf eine doppelte Idee, nämlich die Gleise getrennt von den bestehenden Wegen zu verlegen und die Schienen statt aus Holz aus Eisen zu schmieden, diese zudem in Form von Pilzprofilen zu fertigen. Das hatte den Vorteil, dass die Räder nicht mehr so häufig wie früher aus den Gleisen sprangen. Daher somit der Name Eisenbahn. Im französischen chemin de fer ist der Ursprung unmittelbar ersichtlich. So geschah es in diesem besonderen Jahr 1789 (!). Seltsam - so Leopold von Ranke - wie Ereignisse zeitlich zusammenfallen können, deren Geschichtsträchtigkeit sich erst in der Zukunft herausstellen sollte: in Paris die politische Wende ausgehend vom Sturm auf die Bastille einerseits und in Wales die technologische Neuerung andererseits.

 

Die Dampfmaschine, eine Anlage, die Energie in die Bewegung eines Rades umsetzt, war durch Thomas Newcomen und James Watt zu dieser Zeit schon erfunden. Nun galt es diese Maschine auf ein Gleis zu setzen, dadurch die Maschine beweglich wird und Lasten ziehen kann, die Lokomotive oder das Dampfross. Unser Bestand an Lokomotiven ist traditionell, somit zum größeren Anteil auf das Dampfross ausgerichtet, meinem Bruder, der mittlere von uns drei, verdanke ich den beträchtlichen Zuwachs an Loks und Schienenmaterial.

 

Das Dampfross

 

Schaut man sich das Innere der Lokomotive einmal näher an. Das Beispiel zeigt die Technik einer Lokalbahn- oder Rangierlok Ende des 19. Jahrhunderts, so wurde der Dampfwagen auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut[iv].

 

Die größeren Schwestern waren die D-Zug Lokomotiven mit drei und die Loks der schweren Güterzüge mit fünf großen Treibrädern und je einem vorgesetzten und nachgesetzten, spurhaltenden, gelenkigen Räderpaar. Hinzu kam der Tender, der das für längere Strecken benötigte Energiematerial, Kohlen, Wasser und Sand (der wurde beim Abbremsen benötigt) aufnahm.

 

Statt 40 bis 80 km pro Stunde, die die kleine Lokomotive erreichte, konnten - im Normalbetrieb - mit diesen Lokomotiven bis zu 120 km pro Stunde erreicht werden, wie die Zahl der angehängte Personen- oder Güterwagen erheblich gesteigert werden konnten. Es besteht ja eine Proportion zwischen dem Gewicht der Lokomotive und der Förderlast. Je schwerer die Lokomotive, umso mehr Last kann sie ziehen.

 

Erhaben war der Anblick noch in 1960er Jahren, wenn im Bahnhof Baden-Oos die Räder der Lok beim Anfahren (und bei entsprechend großer Energiezufuhr durch größtes Öffnen der Ventile, dann schnaufte das Dampfross heftig) die Räder langsam sich zu drehen begannen. War der erste Widerstand überwunden, konnte der Zug beschleunigt werden.

 

Noch erhabener waren die schweren Güterzuglokomotiven mit fünf Treibrädern. Jedes Mal, wenn wir nach der Schule zu den Rheinauen radelten, warteten wir am Bahnhof Baden-Oos einen Güterzug ab, und zählten die angehängten Güterwagen, ich glaube einmal kamen wir auf 66. Erregend war die Musik des Gerassels, das ja Minuten dauerte, weil diese Züge langsam unterwegs waren. Die Züge kamen aus Italien und der Schweiz, im großen Güterbahnhof im Mannheim wurde umrangiert, je nach dem endgültigen Bestimmungsort der geschlossenen und offenen Güterwagen.

 

Dampfloks - das ist gewiss - sind mit die schönsten Zeugen des menschlichen Erfindungsgeistes, weil der Antrieb als Gestänge zwischen den Rädern, der dampferzeugende Kessel und die Umsetzung von Dampf- in Bewegungsenergie sichtbar sind. Nicht alles ist jedoch gleich zu bemerken. Es war ja in den Anfangszeiten ein großes Problem, weil in einer Kurve die inneren und äußeren Räder einen unterschiedlich langen Weg nehmen, und somit Verzerrungsspannung entsteht. Die Geschwindigkeit in den Kurven musste somit gedrosselt werden. Gelöst wurde die Aufgabe durch ein kybernetisches - rückkoppelndes Aggregat, mit dem die Fliehkraft in den Kurven ausgeglichen wurde. Diese Erfindung Mitte des 19. Jahrhunderts war genial!

 

Die spätere E-Lok, so langweilig sie im Vergleich zur Dampflok ausschaut, ist auch genial. Man muss ja wissen, dass eine Dampflok etwa 4 Stunden während der Nacht gewartet werden muss, nicht nur musste die Hitze erzeugt werden, sondern auch die Kessel mussten gereinigt werden, Kohlen und Wasservorräte aufgefüllt werden und die Lager in den Gestängen mussten gereinigt und geschmiert werden. Wer dieses Zeitalter noch erlebt hat, kennt die Lokführer, die mit einem Hammer in den Bahnhöfen die Lager der Treibstangen überprüften. Erst danach konnten sie die Schieber / Ventile öffnen, damit der Anfangswiderstand zwischen Treibrad und Gleis beim Anfahren überwunden und der Zug anschließend beschleunigt werden kann.

 

Die Lokomotive ist das Eine, die Eisenbahnstrecken und das Netz, das sie ausmachen, das ebenso von epochemachenden Erfindungen geprägte Andere.

 

Die Entwicklung des Eisenbahnwesens

 

Sie ist die Geschichte einer wahren Explosion! Das heißt die Eroberung des Raums durch ein Spinnennetz.

 

Die bestehenden Wege waren noch zu Goethes Zeit ein ganz erhebliches Reisehindernis. Reisen war zu allen Zeiten begehrt, aber ein ausschließliches Privileg der höheren Stände, die die Mittel und die Zeit dafür besaßen. Die „grand tour“ unternahmen die Adelssöhne im jugendliche Alter, da ereigneten sich hin und wieder die merkwürdigsten und geschichtsträchtigsten Erlebnisse[v].

 

Die Geschwindigkeit der Personenpost betrug zwischen 6 und 10 km die Stunde. Zu Fuß etwa 4 km, daher brauchte Arthur Rimbaud drei Monate auf seiner Wanderung von Hamburg nach Genua. Und noch viel mühsamer war der Transport der Güter. Für ein Gespann benötigte man 4 oder 6 Pferde oder Ochsen, die legten in 12 Stunden 3 - 4 Meilen zurück. Das übliche Transportmittel war der zweiräderige Karren. Wo es möglich war, waren im 18. Jahrhundert durch Wasserstraßen / Kanäle Verbesserungen geschaffen worden, Napoleons Nationalstraßen waren vermutlich nicht vorrangig als Wohltat gedacht, sondern dienten der schnellen Verlagerung der Truppen dieses Kriegsherrn.

 

Stephensons „Rocket“ und noch mehr das Nachfolgemodell der „Northumberland“, die schon viermal so viel Feuerröhren als die „Rocket“ aufwies, also entsprechend mehr Energie lieferte, bewies, wie schnell die Lokomotiven wirksamer gemacht wurden. Zwar leisteten die Wasserstraßenherren politischen Widerstand, jedoch vergeblich. 1830 war - wie gesagt - die erste lange Strecke von Liverpool nach Manchester in Betrieb genommen worden, und wenig später ein Abzweig nach Birmingham. In wenigen Jahren entstanden Eisenbahnstrecken zwischen London und Bristol, Birmingham und Southampton. 1835 die Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth.

 

Eisenbahnstrecken sind „geringschiefe Ebenen“. Wäre der Anstieg zu hoch, so würde die Wirkung der Schwerkraft bewirken, dass die Treibräder durchdrehen, der Zug nicht mehr vorankommt. Man muss ja sehen, dass der Kontakt zwischen dem glatten Treibradring und dem glatten Gleis nur wenige Quadratzentimeter beträgt. Was da streckentechnisch in gegebener Landschaft zu bewältigen war, sieht man Beispiel der Bahnstrecke zwischen Liverpool und Manchester. Es musste fester Boden auf Mooren geschaffen werden, ebenso Einschnitte im hügeligen Gelände wie auch Tunnels durch einen Höhenzug. Bis zu 18 Meter aufgeschüttete Dämme überbrückten Senken und eine Brücke den Fluss Irwell. Noch spektakulärer war, dass die Innenstadt Liverpools untertunnelt wurde.

 

Das Projekt wurde gleichwohl als so erfolgsversprechend angesehen, sodass das Aktienkapital für die Betriebsgesellschaft innerhalb weniger Tage gezeichnet wurde. Dies sehr zum heftigen Ärger der Wasserstraßenherren, die bisher das Beförderungsmonopol durch den Bridgewaterkanal besaßen, und dies weidlich ausgenutzt hatten.

 

Die Welt war mehr als erstaunt, als es mit der Semmeringbahn von Wien nach Graz 1854 gelungen war 495 Meter Höhenunterschied von Baden bei Wien bis zur Passhöhe bei 1.000 Meter zu überwinden. Das konnte nur erreicht werden, weil im gebirgigen Gelände die Gleise so verlegt wurden, dass Brücken und Tunnelbauwerke sowie Umkehrungen mit sehr engen Bogendurchmessern vorgesehen wurden. Das Projekt konnte nur durch eine besonders schwere und gelenkige Lokomotive erreicht werden. Nur 25 Jahre lagen zwischen der „Rocket“ und dieser Lokomotive, ein wirklicher Sturmlauf des technischen Projektierens - wirksam befeuert durch das „Großkapital“, dessen Erwartungen auch aufgingen.

 

Man macht sich wohl heute wenig Gedanken über das, was im 19. Jahrhundert für den Streckenbau geleistet wurde. Und dies ja nicht mit Bagger, Planierraupen (die Landfahrzeuge waren ja noch nicht erfunden) sondern mit Schaufel, Hacken in mühseliger Anstrengung von Tausenden von Arbeitern.

 

In jedem Jahr nach 1850 wurden in allen Teilen Europas und auch in Übersee Eisenbahnlinien eröffnet. So zum Beispiel im besonders eifrigen Sachsen. Die erste 116 Kilometer lange Linie verband Dresden und Leipzig, sie war 1839 fertiggestellt. Ende des 19. Jahrhunderts waren durch das Netz mit 3.500 km insgesamt alle größeren sächsischen Ortschaften miteinander verbunden (das heutige Netz ist mit 2.400 Kilometern deutlich weniger engmaschig).

 

Die Eisenbahn war ein Ergebnis der technisch-industriellen Revolution, wie sie umgekehrt diese antrieb. Es waren stürmische Zeiten. Indem Ausgangsstoffe geographisch zusammen gebracht werden konnten, veränderte sich die Industrie vom Klein- zum Großbetrieb und damit ging die Umverteilung der Bevölkerung einher.

 

Es ist schon merkwürdig, das Zeitalter der romantischen Literatur erwies sich als völlig unromantisch.

 

Und man muss auch die Kehrseite sehen. So zum Beispiel die Eifelindustrie, die nicht an das Netz angeschlossen wurde und daher in kürzester Zeit zusammenbrach. Und schlimmer noch! Denn nun konnten Heere und Waffen schnell an die Fronten gebracht werden, der Erste Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wäre ohne die Eisenbahn so nicht möglich gewesen.

 

Die Modelleisenbahn als Abbild der äußeren Welt

 

Nun, der Modellbauer wünscht sich eine stimmige Welt. Wobei die einen nostalgisch und somit der Dampflok zugeneigt sind, andere fortschrittlich und somit die E-Lok bevorzugen. Beide sind gleichwohl Romantiker, und nehmen sich eine Auszeit.

 

Ein König - so geht die Fabel - wollte einmal ein Modell seines Reiches erstellt haben. Die beauftragten Wissenschaftler machten sich ans Werk und lieferten eine tischgroße Fassung, die jedoch nicht gefiel. So lieferten sie eine Fassung, die ein großes Zimmer im Palast umfasste, nach nochmaliger Unzufriedenheit füllten sie den Kronsaal, dann den Park vor dem Schloss aus. Schließlich verlangte der König, das gesamte Königreich für das Modell zu nutzen. Anscheinend war er ein Romantiker, der die reale Welt durch eine bessere ersetzen wollte.

 

In dieser Verlegenheit befindet sich der Modellbauer nicht, aber man kann „zoomen“ zwischen Tischgröße (Spur N), zwischen Zimmergröße (Spur HO) und der Freiluft- Gartenanlage. Im Maßstab 1 : 3 sind die Dampfloks auf dem Höhenpark Killesberg in Stuttgart seit der Bundesgartenschau 1950 unterwegs - eine sehr vergnügliche, mit den schönsten Kindheitserinnerungen erfüllte Angelegenheit, die heute von älteren Herren im Ehrenamt betrieben wird. Dass man auch viel kleinere, tatsächlich mit Dampf betriebene Loks bauen kann, habe ich in Aesch in der Nähe von Basel erlebt.

 

Für die Modellbauer gibt es zwei Alternativen. Zunächst die „stationäre“, das heißt die zumeist im Keller eines Einfamilienhauses betriebene Panoramabahn mit Landschaft. Sie messen sich in mehreren Metern Umfang und die Lust ihrer Erbauer besteht vor allem darin, in jahrelanger Freizeitbeschäftigung das ikonographische Abbild so detailgerecht wie immer nur möglich zu verwirklichen.

 

Die zweite Alternative ist die ambulante, das heißt die in Schachteln aufbewahrten Loks, Schienen und sonstigem werden - wenn es mal wieder so weit ist - ausgepackt und ein neuer Schienenplan wird verwirklicht. Großväter und Kinder sind beteiligt, bis auf weiteres. Auch wir haben - wie die Fotos zeigen - Panoramen verwirklicht und dabei unser Modell des Eifelturms eingefügt. Nach einer Woche wurden sie wieder in Kisten verpackt.

 

Der Modellbauer befindet sich in der glücklichen Lage, sich sagen zu dürfen, „hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein“.

 

Doch völlig willkürlich kann er im Raum - angenommen in einer üblichen Zimmergröße von 4 x 4 Metern - wiederum nicht handeln. Er muss Bedingungen erfüllen, so die Beachtung der Geometrie des Raums, der vermutlich möbliert ist, auch Platz für den Modellbauer selbst und der Mitstreiter, eine Tür benötigt Innenraum, wenn sie geöffnet wird. Die Teilbarkeit und Geometrie der Schienen, der geraden wie der gebogenen, deren Bogen durch die physikalischen Verhältnissen bewegter Gegenstände (Fliehkraft) bestimmt ist.

 

Drei Grundformen der Gleisanlage bieten sich an. Die gerade oder kurvige Strecke, die zwei Endbahnhöfe verbindet. Das kann reizvoll sein, weil man in den beiden Bahnhöfen rangieren muss, das heißt die eingefahrene Lok muss abgekoppelt werden und eine Lok am Ende des Zuges angekoppelt werden. Dementsprechend braucht man zumindest ein weiteres Gleis auf dem die benötigte Lok für den Richtungswechsel des Zuges wartet.

 

Im Fall der zweiten Variante werden die Gleise entlang der vier Wände des Raums verlegt. Da genügend Platz vorhanden ist, kann ein innerer, parallel verlaufender Gleisstrang gelegt werden, das ergibt einen schönen Effekt, wenn die beiden Strecken eigene Stromkreise aufweisen, denn dann können die Züge unanhängig voneinander gesteuert werden, und ja auch in Gegenrichtung laufen.

 

Unsere Variante war die dritte, die an zwei Eckwänden des Zimmers verläuft, einen Mittelteil (für den Bahnhof) und an beiden Enden ein Umkehrbogen aufweist. Der Zug verläuft dann immer in jeweiliger Gegenrichtung in den Mittelteil /Bahnhof ein, was die Simulation sehr bereichert.

 

Eine weitere Variante wird am Ende der Schrift vorgestellt.

 

Die Eisenbahn in kosmologischer Sicht

 

Vom Zugfahren und vom Modellbauen aus kann kam man ohne großen Umweg zu kosmischen Dimensionen kommen, eine Geometrie aus Raum (das Nebeneinander), Zeit (das Nacheinander) und die Bewegung als Synthese aus beiden.

 

Alles, was ist, vom Atom- bis zum Sternenkosmos, wir mitten drin, bewegt sich, nur in der ständigen Bewegung entsteht das Weltgefüge. So ist es ja Aufgabe der Eisenbahn wie mit ihrer Miniausführung auf dem Zimmerboden[vi].

 

Auch die Sterne und Planeten bewegen sich auf festgefügten Bahnen / Gleisen. Sie sind zwar nicht aus Eisen, sondern beruhen auf dem Kräfteaustausch der Weltkörper, der Gravitation. Auch bedarf es keiner „Befeuerung“, denn der Energievorrat im Kleinen und Großen des Weltalls erschöpft sich nicht, er nimmt nur ständig neue Wirkungen an. Auch wenn die Analogie nicht ganz zutrifft, so kann man doch sagen, dass die reale Eisenbahn und ebenso die Modelleisenbahn als kleiner Kosmos vorgestellt werden kann, jeweils ein energetisch bewegtes Gebilde auf gebahnten Strukturen.

 

Stoff und Temperatur einerseits und Raum, Zeit und Bewegung andererseits sind die Grundlagen, von den die nähere Betrachtung ausgeht. Hinzu kommt die Netzbildung.

 

Es sind ja die leichtesten und beweglichsten, leicht fusionierenden Atome, die das Sein des Kosmos und mithin jeder der Teile, das zeitlich befristete Dasein, ausmachen. Das einfachste Atom ist der Wasserstoff H, ein Kern und ein ihn umkreisendes Elektron. Dieses Atom macht 70% der kosmischen Materie aus, mit ihm ließe sich allerdings keine Lokomotive kreieren, gleichwohl ist es beteiligt.

 

Das Dampfross ist eine Kombination aus wenigen Stoffen und, wie gesagt, leichten Elementen (im folgenden sind in der Klammer die Elektronenzahlen angegeben). An erster Stelle steht der Kohlenstoff C (6), die fossile Kohle, mit der in Verbindung mit dem zweiatomigen Sauerstoff O2 (8) der Luft die Hitze erzeugt wird. Dadurch wird Wasser H2O aus dem flüssigen noch trägen Zustand in den flüchtigen Dampf verwandelt. Wie die Kohle aus weit abgelegenen Quellen muss das Eisen Fe (26) herbeigeschafft werden, mit dem die Mechanik der Lok vom Chassis, der Behälter der Befeuerung, des Gestänges und der Räder hergestellt wird. Das schwerste Atom ist somit das Eisen, aber auch dies ist gewichtmäßig weit entfernt von den Metallen wie dem Uran mit 96 Elektronen[vii].

 

Der Raum ist ein teilbares Kontinuum. Sitzt man im wirklichen Zug, dann lässt sich leicht bemerken, wie wechselseitig Raum und Zeit sich im Gemüt abbilden.

 

Angenommen, dass draußen stockfinstere Nacht ist, dann schaltet sich das sonst immer vorherrschende Zeitverständnis gewissermaßen aus. Wir sind zwar unterwegs, aber an unserem Sitz im Stillstand. Da kommt der Raum wieder deutlicher ins aktive Bewusstsein. Man schaut sich um, man sieht die Aufreihung der (leeren) Sitze, den Mittelflur, die Anfang und Ende der gegenwärtigen Hülle, die Zugangstüren oder die Stelle, wo die Koffer verstaut werden, eine gerastete Ordnung der Sitzreihen.

 

Nachdem die Musterung der Eigenschaften des Nebeneinanders im Raum beendet ist, kommt die Zeit doch wieder zurück. Oft in der Form, dass man in die (eigene) Vergangenheit eintaucht. Oder man ist traurig, weil man abreisen musste (das Gemütserlebnis im Vergangenen), oder man freut sich, weil man im Ziel der Reise erwartet wird (dieses im Zukünftigen).

 

Jedenfalls befindet man sich in der Hülle eines anscheinenden ruhenden, gleichwohl bewegten Raums.

 

Der Zug fährt in einen Bahnhof ein und hält an. Jetzt kommt die gegenwärtige Zeit zurück. Steigen jetzt Reisende zu, dann ergibt sich eine andere Zeit- und Raumsituation, ein anderes, bewegliches Ordnungsgefüge, denn, wie man es oft erlebt hat, nehmen die Zugestiegenen nicht gleich den erstnächsten Sitz, sondern suchen und wechseln nach den Vorstellungen der optimalen Platzzierung.

 

Ich hatte einmal ein sehr schönes Erlebnis (von vielen anderen in Zügen). Auf der Samstagnachmittagsfahrt von Berlin nach Bonn war ich zunächst der einzige Passagier im Wagen. Die Tür geht auf, eine junge Frau kommt dazu, blickt sich um und dann fragt sie mich: Ist der Sitz (mir gegenüber) hier noch frei? Aber ja! Das war pragmatische, unbürgerliche Freiheit ihrerseits, wir bildeten eine beiderseitige, willkommene Gesprächsdualität. Wir sind ein Gespräch, wir sollten es sein. Ein weiterer (mitmenschlicher) Raum im Raum, und, wie man so sagt, die Zeit verging „wie im Fluge“.

 

Ein andermal, ebenso unvergesslich, hatte ich mich mit dem einjährigen Moritz angefreundet. Und daher übernahm ich ihn, als die Mutter mich darum bat, weil sie sich eine Auszeit im Bistro genehmigen wollte. Doch sie blieb da länger, die Mitreisenden begannen zu lächeln, und ich mich zu fürchten, weil Köln immer näher rückte. Nun ja, ich wurde schließlich doch nicht der Stiefvater von Moritz.

 

Ich kann noch viele Geschichten erzählen. Einmal war so dichter Schneefall, dass man sich von einer Gelegenheit der Weiterfahrt zur andern durchhangeln musste. In Dortmund stand ein Zug, der versprach, dass ich Hannover erreichen könnte. Nun lächelte mir das Glück, denn, da ich am Triebwagen eingestiegen war und die Tür zum Führerstand offen stand, fragte ich den Lokführer, ob wir Hannover tatsächlich erreichen könnten. Das ist ungewiss, da viele Weichen vereist sind, sagte er, aber nehmen Sie ruhig Platz neben mir.

 

So erlebte ich die Welt im Führerstand. Der Lokführer, ein aus der DDR - Reichsbahn nach der Wende Übernommener, hatte wohl noch nicht alle Dienstanweisungen im Blick oder sie waren ihm gleichgültig. Er erzählte, war er sich demnächst vornahm. Es war, so geplant, eine Urlaubsfahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Baikalsee, um dort eine Angelwoche zu genießen.

 

Währenddessen war ständiger Funkverkehr, die Durchfahrt Gütersloh war wegen einer vereister Weiche nur möglich, indem wir auf das Gleis der Gegenrichtung auswichen. Ach, es war herrlich, wie wir beide, von den Stellwerken informiert, schließlich im dichten Schneetreiben doch noch Hannover erreichten.

 

Wenig ist so geeignet, die Mannigfaltigkeit der Erdoberfläche zu erleben, wie eine lange Zugfahrt. Zwei sehr lange Zugfahrten habe ich dienstlich veranlasst unternommen. Von Bonn nach Ljubljana / Slowenien und von Bonn nach Pécs / Ungarn. Zunächst die Fahrt durch das Rheintal, danach durch das süddeutsche, hügelige Tafelland, dann durch das Donautal in das Flachland des südwestlichen Ungarns, nach Slowenien über die Hohen Tauern und noch einmal die Hochgebirgsüberquerung der Karawanken. Und ganz anders in der Topographie die Reise von Bonn nach Rennes / Bretagne und von Bonn nach Newcastle upon Tyne in Nordengland. Was man alles verwirklichen kann! Der Nachtzug nach Brest bestand aus Schlafwagen, und diese waren so aufgereiht, dass sie jeweils in den ersten, zweiten usw. Bahnhöfen abgekoppelt wurden, die Reisenden konnten bis acht Uhr durchschlafen.

 

Nicht nur die Morphotektonik veränderte sich auf den grenzüberschreitenden Fahrten, sondern auch die Art, Sprache und das Verhalten der Mitreisenden. (Sitzen sie sich stumm gegenüber oder geraten sie in ein Gespräch?) Wie viele Lebenserfahrungen und Weltkenntnisse sind schon auf Zugfahrten vermittelt worden! So zum Beispiel, als Professor Kuckuck dem erstaunten Felix Krull erklärte, dass dieser auch einen Raum ausmacht, der in lauter kleine Klumpchen aufgeteilt sei[viii].

 

Die Bahnhöfe sind die Knoten und die schönsten unter ihnen sind die Londoner Kopfbahnhöfe, vor allem Victoria- und Paddingtonstation. Es sind frühe Exemplare und es sind riesige und sehr hohe Hallen. Ihre enorme Höhe war notwendig, damit die Reisenden nicht am ausgestoßenen Dampf der eingefahrenen Loks erstickten. Ein anderes Gehäuse, indem die Reisenden eilig unterwegs sind, denn die Züge warten nicht auf Bummler oder Verliebte, die sich nicht voneinander losreißen können. Im Fall der Pariser Kopfbahnhöfe hat man Halle und (überdachte) Bahnsteige getrennt, das war wegen der Luftreinhaltung sehr vernünftig.

 

Wenn man in den Stuttgarter Kopfbahnhof einfährt, ist man doch immer wieder überrascht, wenn der eigene Zug und andere von einem Gleis auf ein anderes wechseln und Berührungen unterbleiben! Was für Koordinationshelden müssen doch in den Stellwerken sitzen!

 

Es gibt beim Zufahren somit ständig neue Standorte, de facto unendlich viele, und somit raum-zeitliche Bezugssysteme, die unsere seelische Innerlichkeit reizen, und manchmal auch foppen, so, wenn man glaubt, dass die Fahrt weiter geht und es doch ein Zug auf einem benachbarten Gleis im Bahnhof ist.

 

So träumt der Modellbahnbetreiber erinnernd so vor sich hin, wenn er die wenigen Meter seiner Modellbahn überblickt. Als Betreiber einer Modelleisenbahn stehen wir auf dem Standort „über den Dingen“, die sich da auf dem Fußboden abspielen. Wir waren Schöpfer, was nicht ganz einfach ist, wenn wir nicht gerade einen schlichten Kreis kreiert haben.

 

In der Nähe von Salzburg, in Anger, befindet sich im Museum Hans Peter Porsches, eine Großanlage[ix]. Ein Traumwerkzeug, so lautet auch der Name. Wir waren hingerissen, weil zum einen Alpenszenerien und zwar sowohl winterliche wie sommerliche aufgebaut sind und an anderer Stelle ein mittelstädtischer Hauptbahnhof und auch noch andere Szenerien vorhanden sind. Da besteht der Reiz in den Abbildern bestehender räumlicher Archetypen und zum anderen in der Kybernetik der stabilen Bewegungen so vieler Elemente.

 

Im Fall unserer deutlich kleineren Modellbahn sind wir auch Betreiber, am besten mit Hilfe, so wie im Fall der WKE. Da digitale Hilfen nicht vorhanden sind, sind wir zu eigener Bewegung aufgefordert. Energiefluss regeln, Weichen umstellen, genau Zugläufe beobachtend, so dass keine Unfälle passieren. Jedenfalls hat man Verworrenheit, so weit wie möglich, vermieden und war vergnügt dabei.

 

Dann verlässt man das Modellbauzimmer, und tritt in die realen Zimmer. Wie viel Vergnügen oder vielleicht auch Verworrenheit wird man dort antreffen?

 

Immanuel Kants Seelenlehre auf dem Zimmerboden?

 

Kann die Modelleisenbahn ein Nachbau unserer inneren, seelischen Welt sein? Warum nicht? Ist nicht unser Denkvermögen ganz ähnlich gelagert? Zwischen den Nervenbahnen und eingelagerten Verzweigungsschaltern bewegen sich die Gedankenzüge beladen mit Neuronengepäck in das Zentrum, den Bahnhof und das Stellwerk in unserem Kopf.

 

Schon der antike Philosoph Platon hat den Gedanken geäußert, dass in unserer Seele Regionen zu unterscheiden sind. Wir fühlen, wir denken, wir schlussfolgern und wir handeln, bereiten etwas vor. Gemüt, Verstand, Vernunft und Wille sind die vier Regionen, die in der Mitte verknüpft sind.

 

Unsere Schienanlage, die nach dem Vorbild eines Klees mit vier statt den üblichen drei Blättern angelegt ist, ist ein Modell dafür.

 

Das obere linke Blatt ist die Region des Fühlens. Das Schiff symbolisiert die äußere, dingliche Welt, der Kran die Sinnesorgane, unsere Fenster in die äußere Welt. Ständig ladet der Kran Informationen in den Kreis des Fühlens oder des Gemüts.

 

Diese Mitteilungen oder Empfindungen sind - je nach ihrer Reizwirkung - mehr oder weniger bedeutend, jedoch noch undeutlich. Entsprechen also noch nicht der Forderung René Descartes, dass unser Bewusstsein aus der Mannigfaltigkeit der äußeren Welt das herausarbeiten soll, was deutlich beschrieben und klar verstanden werden kann. Cogito ergo sum.

 

Daher werden sie mit Hilfe des Güterzugs oder über die Tannenzapfen in die rechte obere Region, die des Denkens überführt. Dort befinden sich die Begriffe, die nachhaltiger ins Bewusstsein rücken, was durch Anschauen und Empfindungen übermittelt wurde.

 

Die Region des Verstandes verwandelt die Anschauungen / Sinnesempfindungen vermittels der Begriffe in Vorstellungen. Und daraus ergibt sich das, was Immanuel Kant „Affiziert sein“ nennt. Das heißt dasjenige Mitgeteilte, was das Interesse erregt. Der Gedankenzug geht also zurück zur Region des Fühlens und der Wahrnehmung und wählt dabei aus. Und, wenn diese Auswahl geschehen ist, setzt das Denken neu an. Ich habe das einmal erlebt, als wir uns von Bonn aus Köln näherten, und ein Kind, in Ansehung (ein Lieblingsbegriff Immanuel Kants) der Türme des Kölner Doms fragte, Mama ist das so eine Art Kirche? Es suchte ein Verständnis des Überraschenden. Würden wir dieses Auswählen nicht können, wir würden von der Mannigfaltigkeit der Welt und der Erlebnisse überwältigt werden.

 

Die Begriffe stehen aber nicht isoliert, hat man etwas bezeichnet, so ergeben sich sofort diesbezügliche weitere Begriffe, denken wir Zugfahrt, so stellt sich gleich der Begriff Bewegung ein, sei es topographisch von A nach B oder mental als Erwartung und Begehren, eines schönen Urlaubs wegen. Es entsteht somit ein Begriffsnetz, eine Topik aus Begreifen und Wollen.

 

Aus dem Wollen, das auch Unzufriedenheit mit dem „Gegebenen“ (ein weiterer Schlüsselbegriff Immanuel Kants) sein kann, geht der Gedankenzug zum Erdachten, symbolisiert als Bahnhof in einer nicht rein pragmatischen, sondern einer besonderen Gestaltung.

 

Und welche Rolle spielt die Region des Träumens / des Sinnens? Das brauche ich Ihnen, verehrte Leserin, verehrter Leser, nicht zu sagen!

 

Wichtig im Modellnachbau ist, dass jede Zugfahrt möglich ist. Und diese Anforderung ist, wenn Sie in die Mitte schauen, gewährleistet.

 

Dass im Gegebenen das Mögliche ebenfalls vorhanden ist und gedacht werden kann, das bezeichnet Immanuel Kant als transzendentale Ästhetik. Ohne Übertragung zwischen den Kleeblättern blieben die Blätter ja isoliert, starr, leblos. Sie müssen in Verbindungen stehen, und so nehmen die Züge auf, was sie in dem einen Kleeblatt vorgefunden haben, sie umrunden es, prüfen, was dort an Wichtigem vorliegt, und verfrachten es in die anderen Kleeblätter, je nachdem, was der Wille, das Begehrende in uns, verlangt.

 

Es sind zwei Zugarten, die Güterzüge verfrachten die Dinge, die Personenzüge verfrachten das, was uns, das Ich, an die anderen Ichs bindet, entweder mit Freuden oder mit Sorgen beladen.

 

Dort in der Wurzel der Blätter ermöglichen die Weichen die Übergänge. Wie sind sie gerade gestellt, wie und warum werden sie umgestellt? Jedenfalls können wir als Betreiber der Modellbahn entscheiden, wohin die Reise geht!

 

Am besten ist es, wenn wir alle möglichen Wege ausprobieren, das ist, was man Freiheit nennt. Der Charme des Modellierens besteht darin, dass wir mutig sind, sein können. „Das Leben hat viele Taschen, wenn man viel hineinzustecken hat“ (Friedrich Nietzsche)[xi].

 

Das Leben ist eine Reise, ein erlebnisreiches und gestaltetes Vorrücken in Raum, Zeit und Bewegung.

 

So ist ja auch die Modelleisenbahn beschaffen und die kleine Lok, die vor sich hindampft und wie Immanuel Kant sich fragt „Was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? Was soll ich tun?“, nun, die sind wir selbst.

 

Wie immer freut man sich, wenn auf ein Schriftstück eine „Rückkopplung“, eine Antwort, erfolgt. Somit also eine Adresse. Rolf Derenbach, Lahnweg 24, 53129 Bonn oder rderenbach@gmx.de

 

[i]  Johann Wolfgang von Goethe: Faust I, Osterspaziergang.

[ii]  Derenbach, Rolf: So ist es gekommen - Jahre in Baden-Baden, Stuttgart, London / Bath und im Berlin der „1968er“. Eine Autobiographie bis zum 28. Lebensjahr, aber keine Ich-Eloge, sondern, eine Folge aus beobachtenden und in der Erinnerung verankert gebliebenen Episoden. Vielleicht mit acht Jahren schon bin ich mit dem Zug allein von Baden-Baden nach Stuttgart „versandt“ worden.

[iii]  Die folgenden technischen und geschichtlichen Informationen habe ich aus dem Buch von Alfred Birk, Die Entwicklung des modernen Eisenbahnbaus. Sammlung Göschen Leipzig 1911, entnommen. Er, 1855 - 1945, war Eisenbahnfachmann (Wiener Technische Hochschule) und Schriftsteller, der wusste, wie man Laien in einen Stoff hineinführen kann.

[iv]  Kahnmeyer, K. und H. Schulze. Anschaulich-ausführliches Realienbuch. Bielefeld und Leipzig 1908. Daraus ist die Beschreibung der kleinen Dampflok entnommen.

[v]  So zum Beispiel die „grand tour“ des Herzogssohn Georg des Herzogtums Celle-Lüneburg. Dazu: Rolf Derenbach: „Die Residenzstadt Celle: Dynastische Seitensprünge und Stadtgeschichte“ in „Wie schöne Städte entstanden sind - urbanistisch-historische Miniaturen. Bonn 2021. Im Ergebnis kamen die Hannoveraner Herzöge auf den englischen Thron.

[vi]  Wenn die Loks nicht mehr bewegt werden, dann verrotten sie schnell. Ein Bild des Jammers über die Befristung des Existierenden sind die ausrangierten Ruinen von Dampflokomotiven, die auf einem Abstellgleis im Bahnhof von Nördlingen abgestellt waren. Dort befindet sich das bayrische Eisenbahnmuseum. (www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de). Ich nehme an, dass die abgestellten, verrosteten Lokruinen als Ersatzteillager für die noch betriebstüchtigen Modelle dienen. So, wie sie da stehen, sind sie ein Bild der Vergänglichkeit, die ja für die Dampfloks mit Beginn der 1960er Jahre eingetreten war. Schön, dass sie wenigstens als Loks der Museumsbahnen noch in Betrieb sind.

[vii]  Dazu Rolf Derenbach: Beständig durch Bewegung - die Erde. Berlin 2021.

[viii]  Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. (1954) Frankfurt a. M. 1961.

[ix]  Hans-Peter Porsches Traumwerk info@traumwerk.de

[x]   Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. (1788) Stuttgart 1981.

[xi]   Friedrich Nietzsche: Menschliches - Allzumenschliches. (1878) München 1985.

 

 

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